Was Österreich von Deutschland unterscheidet, ist – 100 Jahre nach Karl Kraus – nicht nur die gemeinsame Sprache, sondern auch die gemeinsame Rechtsprechung: Während in Österreich den Anleger ein Mitverschulden an einer fehlerhaften Anlageberatung treffen kann, wenn er die Angaben seines Beraters nicht überprüft,[1] hat man in Deutschland längst erkannt, dass sich Beratung und Überprüfung des erhaltenen Rats durch den Beratenen logisch nicht vertragen: Der Informationspflichtige kann dem Geschädigten grundsätzlich nicht entgegenhalten, er habe den Angaben nicht vertrauen dürfen und sei deshalb für den entstandenen Schaden mitverantwortlich; die gegenteilige Annahme stünde im Widerspruch zum Grundgedanken der Aufklärungs- und Beratungspflicht.[2] Häusler hat jüngst gezeigt, dass die österreichische Rsp nicht konsequent ist.[3] Dem Gesetz widerspricht sie obendrein:

  • 1299 ABGB, für das Beratungsverhältnis lex specialis zu § 1304 ABGB, kennt das angesprochene Mitverschulden des Beratenen durchaus, lässt es aber nur dann greifen, wenn dem Beratenen auffallen müsste, dass der Berater in seinen Geschäften unerfahren ist. Von der Qualität der Beratung spricht das Gesetz nicht![4] Beim Beratungsverhältnis gehen nämlich beide, Beratener ebenso wie Berater, übereinstimmend von einem Wissensgefälle zwischen ihnen aus. Ziel des iSd § 1300 ABGB entgeltlichen[5] Beratungsverhältnisses ist das punktuelle Ausgleichen dieses Gefälles, maW: der Beratene bezahlt, sei es direkt oder meist auf Umwegen, gerade für das in den Berater gesetzte Vertrauen.

Sogar wenn der Beratene einmal „wirtschaftserfahren“ wäre[6] und prinzipiell selbst eine Überprüfung der Faktenlage vornehmen könnte, so wie auch ein Restaurantgast prinzipiell sein Diner selbst kochen könnte, entscheidet er sich hier doch dafür, sich bedienen zu lassen. Und bezahlt dafür. Zeit und Aufmerksamkeit sind schließlich knappe Güter geworden. Passt dann das Diner nicht (zB weil im Burger eine tote Maus liegt), kann der Wirt auch nicht einwenden, der Gast sei zur Hälfte selber schuld.

Der OGH, sonst der Hort logisch stringenter Ableitung,[7] übernimmt axiomatisch das Diktum der Schädiger,[8] es gebe ein Mitverschulden im Einzelfall, der natürlich nicht mehr revisibel ist. Ob es überhaupt eines geben kann, wäre aber eine Rechtsfrage, siehe BGH. Aus deutscher Sicht ist das Erkennen auf Mitverschulden im Beratungsverhältnis wohl eine sehr österreichische Lösung. Es hat den die Justiz entlastenden Nebeneffekt, Vergleiche – Mittellösungen – zu befördern und potentielle weitere Kläger von der Klagsführung abzuhalten, ist doch das Ausmaß des in concreto auszumittelnden Mitverschuldens kaum vorhersagbar. Charmant, aber schlampig!

Benedikt Wallner, 23.1.2015


 

[1] Häusler, Zum Mitverschulden bei Beratungsdienstleistungen, ÖJZ 2014/113 (FN1).

[2] BGH vom 13.1.2004, XI ZR 355/02 mwN; dort war der Beratene sogar ein Rechtsanwalt und Notar!

[3] Häusler, ebd.

[4] LG St. Pölten, 21 R 122/11s; OLG Graz 2 R 138/09w.

[5] „gegen Belohnung“, dh nicht selbstlos, vgl. RS0044121.

[6] So wie in 3 Ob 49/12w.

[7] Zum mangelnden Mitverschulden vgl. 6Ob183/13z (insb. 1.4.5.)

[8] RS0102779.