„In Wahrheit hat freilich noch nie irgend jemand irgend etwas verdient, sondern immer nur bekommen.“
Georg M. Oswald, Alles was zählt

Man mag bei „Sittenwidrigkeit“ an schmutzige Dinge denken – an schmutziges Geld etwa, das auf Wegen zu einem gelangt, die von der Rechtsordnung nicht gebilligt werden. Bei den Banken herrschte bis vor kurzem die Unsitte, von vornherein gefährdete Kreditvergaben damit zu „besichern“, daß „die werte Frau Gemahlin“ oder ein anderes Familienmitglied „mitunterschreibt“. Das konnte in Form einer Bürgschaft geschehen oder als Garantieerklärung, in Form einer Solidarhaftung als beitretender Mitschuldner oder gar als Mitkreditnehmer - letzteres zumeist fälschlich, weil klar ist, daß das Geld nur einem der beiden, eben meist dem Kreditantragsteller und nicht auch seiner Ehefrau zugute kommen sollte (auf die Bezeichnung der Mithaftung kommt es zwar nicht an, doch ist sie auch nicht etwa nur unbeachtliche falsa demonstratio: Rabl, Die Bürgschaft, hält sie mit gutem Grund für ein Interpretationsindiz in der Vertragsauslegung nach § 914 ABGB. Die Rechtsprechung, 1 Ob 109/00m vom 30.1.2001 = ecolex 171/2001, grenzt ab je nachdem, ob die Gutsteherin ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Grundverhältnis hat [selbstschuldnerisch – fremdschuldnerisch]). Für alle diese Schuldbeitritte wurde der Überbegriff „Interzession“ geprägt, zumal es nicht auf den Namen des Beitritts ankommt, sondern auf die Tatsache der Gutstehung. Interzessionen können, wenn bestimmte typische Faktoren zutreffen, sittenwidrig, also zivilrechtlich nichtig sein – und sind es nur zu oft.

Seit eh und je gibt uns § 879 Abs. 1 ABGB ein Instrument an die Hand, Verträge durch Anfechtung zu vernichten: Ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstößt, ist nichtig. Insbesondere zählt Abs. 2 Zif. 4 leg.cit. den Fall dazu, dass jemand den Leichtsinn, die Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich oder einem Dritten für eine Leistung eine Gegenleistung versprechen oder gewähren lässt, deren Vermögenswert zu dem Werte der Leistung in auffallendem Missverhältnisse steht (dem § 1 Wuchergesetz 1949 nachgebildet).

Wenn es einen Fall gab, auf den die Sittenwidrigkeitsjudikatur ideal passte, die der OGH mit 1 Ob 544/95 erstmals entwickelt hat, so war es dieser:

Die Ehefrau des mittlerweile insolventen Unternehmers wurde von der Bank auf annähernd ATS 12 Mio. geklagt. Sie war zum Zeitpunkt der Abgabe ihrer Haftungserklärung einkommens- und vermögenslose Hausfrau gewesen. Auf diesen Zeitpunkt kommt es nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung an, überprüft man die Gültigkeit der Haftungserklärung, nicht hingegen auf vage zukünftige Entwicklungen (7 Ob 217/99h, 1 Ob 87/98w).

Als sie geklagt wurde, lebte sie in Scheidung und bezog Sozialhilfe. Alleine die Rückzahlung der Kapitalforderung ohne Zinsen hätte eines Zeitraums von mehr als 130 Jahren zur Abdeckung bedurft! Auch das von Banken gerne gebrauchte Argument, die Mithaftung der Ehefrau sei notwendig, schütze sie doch die Bank vor listigen Vermögensverlagerungen der Ehe-gatten untereinander, rechtfertigte eine derartige Bürgschaft nicht: gem §§ 2 ff der AnfO sind ohnehin alle Rechtshandlungen anfechtbar, die wegen Benachteiligungsabsicht bzw. wegen Vermögensverschleuderung vorgenommen wurden, insbesondere gegenüber Ehegatten oder anderen nahen Angehörigen. Es gibt hiezu eine umfangreiche Rechtsprechung gerade des deutschen BGH, von dem die Sittenwidrigkeitsrechtsprechung ursprünglich stammt.

Die Justiz hatte dennoch anfangs ein veritables Problem mit der deutschen Sittenwidrigkeitsjudikatur: Wie vertrug sich das denn mit der Privatautonomie? Wenn ein führender Bankmitarbeiter im Prozeß einmal ausrief: „Falls das so weitergeht mit der Sittenwidrigkeitsjudikatur, dann werden wir [die Banken] bald überhaupt keine Kredite mehr vergeben“, so entbehrte das zwar nicht einer gewissen Komik, traf aber doch im Kern die eingetretene Verunsicherung: Wenn die geleistete (Bürgen-)Unterschrift keine Gültigkeit mehr habe, so bedeute dies eine „unerträgliche Belastung für das Geschäftsleben“.

Freilich bedeutete längst die bisherige Praxis eine unerträgliche Belastung, nämlich für das Privatleben so mancher Mithaftenden. Zu bedenken ist, daß die Mithaftende per definitionem ja nicht selbst Geld ausgeborgt hat und nur aufgrund ihres Versprechens zur (Rück-)zahlung an die Bank verpflichtet war, nicht aber aufgrund wechselseitigen Leistungsaustauschs.

Die erste Entscheidung des OGH 1 Ob 544/95 liest sich noch so, als müsse der Gerichtshof die seltene Ausnahmskonstellation unterstreichen, in der nur eine Haftungsbefreiung in Frage käme. Und sie lautet im Ergebnis, daß die Haftungsbefreiung nicht stattfindet, weil der Schuldner bei einigen der ursprünglich 11 aufgestellten Kriterien (vgl. Georg Graf, Verbesserter Schutz vor riskanten Bürgschaften, ÖBA 10/95) zur Haftungsbefreiung „hängenbleibt“. Das Problem mit einem so komplexen System ist natürlich stets, daß es kaum jemals Anwendung finden wird (so urteilte der OGH noch am 27.3.1997 in 8 Ob 2315/96s: „Die Befreiung ... naher Angehöriger ... kann nämlich nur in Ausnahmefällen wirksam werden ...“ und „Zur [Geschäftsunerfahrenheit] hat schon das Erstgericht darauf verwiesen, daß alle Beklagte bereits früher Bürgschaften eingegangen sind und daher [sc!] über das damit verbundene Risiko Bescheid wissen mußten“, eine Argumentation, die vom OGH wenig später völlig zu Recht aufgegeben wurde und heute nicht mehr vertreten wird). Abgesehen von einem eher untypischen Fall zwischen zwei Schwestern mit einem Streitwert von „bloß“ ATS 276.977,25 am 10. Juli 1997 kam es daher vor dem Höchstgericht – die Untergerichte waren eher geneigt, die Mithaftenden in der nachprüfenden Kontrolle zu entschulden – die ersten Jahre immer wieder zu Verneinungen der Haftungsbefreiung.

So dauerte es bis zur obgenannten Entscheidung 7 Ob 217/99h vom 16.2.2000, womit der OGH eine Revision der Bank (!) mit der zutreffenden Begründung zurückwies, die Rechtsprechung zu diesen Fragen sei mittlerweile gefestigt, alle erheblichen Rechtsfragen seien längst gelöst – und im Ergebnis die Ehefrau entschuldete.

Auch der OGH war inzwischen vom Erfordernis der 11 Kriterien abgegangen und der Einteilung der Lehre, hier vor allem Graf (vgl. wieder Georg Graf, Verbesserter Schutz vor riskanten Bürgschaften, ÖBA 10/95) gefolgt, die übersichtlicher ist und die Voraussetzungen in nur mehr drei Gruppen zusammenfaßt (uzw: a) inhaltliche Missbilligung des Interzessionsvertrages, b) Missbilligung der Umstände seines Zustandekommens infolge verdünnter Entscheidungsfreiheit des Interzedenten und c) Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis dieser Faktoren auf seiten des Kreditgebers).

Es hat sich wohl auch gezeigt, daß die „seltene Ausnahmskonstellation“, die das Höchstgericht in seiner ersten Entscheidung noch unterstrich, bei Bankkrediten eher den Regelfall darstellte, wenn Banken zweifelhafte Kredite an Geschäftskunden vergeben hatten und dabei eines oder einer Angehörigen habhaft werden konnten.

Folgende weitere Anhaltspunkte (LG für ZRS Wien zu 11Cg 139/97k) für eine Nichtigkeit lassen sich aus der mittlerweile umfangreichen Judikatur destillieren (vgl. auch Rabl, Sittenwidrige Bürgschaften vermögensschwacher Angehöriger, ecolex 8/1998 samt checklist):

  • Die strukturell ungleich größere Verhandlungsstärke der Bank, die ein derartiges faktisches Übergewicht hat, dass sie die vertraglichen Regeln faktisch einseitig setzen kann, gegenüber dem Angehörigen; 
  • Höhe der Verbindlichkeit, im Vergleich dazu eigenes Einkommen oder Vermögen(„so eine Haftung ist für die Gläubigerbank auch wirtschaftlich weitgehend völlig wertlos, weil nicht zu erwarten ist, dass in das Vermögen zielführende Exekution geführt werden kann, weshalb schutzwürdige Interessen der klagenden Partei gar nicht betroffen sein können und es deshalb zu einem unerträglichen Ungleichgewicht des beidseitigen Interesses kommt“ in 11Cg 139/97k, LGfZRS Wien) 
  • zu diesem Zeitpunkt schon weitgehende Überschuldung des Hauptschuldners? (vgl. die schon länger bestehende Jud. zu SZ 57/70; ÖBA 1992, 74; ÖBA 1993, 61; 4 Ob 1687/95; JBl 1990, 322 = ÖBA 1990, 554 mwN) 
  • Kreditvaluta bereits geflossen, so dass die Verpflichtung nur zur Absicherung der Forderung der Bank dient? 
  • kein (unmittelbares) eigenes Interesse des Mithaftenden, vielmehr reine Gutstehung? (daß die Ehefrau von dem Familieneinkommen lebt, das ihr Mann unter anderem mit dem Firmenkredit erwirtschaftete, für den sie bürgte, hat der OGH in dem beschriebenen Musterfall als nicht ausreichendes eigenes Interesse angesehen) 
  • Verharmlosung des aus dieser Haftung resultierenden Risikos? 
  • wenn schon nicht Verharmlosung: vollständig unterlassene oder unzureichende Aufklärung über das durch die Interzession übernommene Risiko? 
  • Überrumpelungssituation durch wen immer (erfolgte Unterzeichnung in der Bank oder zu Hause oder am Arbeitsplatz)? 
  • wirtschaftliche Abhängigkeit zum Hauptschuldner(-ischen Geschäftsführer), seelische Zwangslage? 
  • (keine) persönliche Verfügungsgewalt über die Kreditsumme? 
  • kein unmittelbarer Vorteil aus der Zuzählung der Kreditvaluta (ÖBA 1995, 807) 

Das Berufungsgericht im einleitend beschriebenen Fall hat zusätzlich als Leitlinien herausgearbeitet: daß die Bürgin nie aktiv im Unternehmen mitgearbeitet hat; daß sie auch sonst niemals in Unternehmensangelegenheiten involviert war; daß die Bank keinerlei Untersuchungen über die finanzielle Lage der Bürgin anstellte; für die Bank war die Bonität der Bürgin bei Einräumung des Kredites unerheblich; obwohl die Bürgin schon den x-ten Kredit über die Jahre hinweg unterzeichnete, wurde sie als geschäftlich völlig unerfahren gewertet; es schadete nicht, dass die Bürgin auf dem Privatkonto des Hauptschuldners zeichnungsberechtigt war; es schadete ihr auch nicht, dass sie Kommanditistin der hauptschuldnerischen KG war: Sie hatte jedenfalls kein wesentliches Eigeninteresse an der Krediterteilung („Das von der Bank aus der Kommanditistenstellung der Bürgin und aus der Unterhaltsbestreitung durch die Firmenentnahmen abgeleitete Eigeninteresse stellt aber kein wesentliches Eigeninteresse im vorstehend dargelegten Sinne dar. Denn die vom Ehegatten und Geschäftsführer der Hauptschuldnerin der Bürgin unmittelbar zur Lebensführung der Familie zur Verfügung gestellten Beträge sind derart knapp, dass sie zur völligen wirtschaftlichen Abhängigkeit der Bürgin von ihrem Ehemann führen. Auch ihre Kommanditistenstellung gewährte ihr keine zusätzliche Einkommensquelle, über die sie hätte disponieren können.“ OLG Wien 14 R 224/98h).

Greift nun die Sittenwidrigkeitsjudikatur nur bei nahen Familienangehörigen? Ja, und auch da nicht immer: Der OGH hat sogar im Fall zweier Brüder 1 Ob 87/98w, wo der eine für den anderen gebürgt hat, entschieden, dass (getrennt wohnenden) Erwachsenen und Geschwistern Entscheidungen viel leichter fallen als Lebenspartnern, aber auch Kindern, die sich dem Einflussbereich ihrer Eltern noch nicht durch eine Verselbständigung ihrer familiären und beruflichen Existenz entzogen haben. Eine seelische Zwangslage liege bei erwachsenen Familien-angehörigen mit selbständigen Lebensbereichen nicht vor, obwohl allerdings Ausnahmen denkbar seien. In solchen Ausnahmskonstellationen habe eben der Interzedent jene besonderen Umstände zu behaupten und zu beweisen, die trotz der Verselbständigung seiner familiären und beruflichen Lebensbereiche nach wie vor seine Situation verdünnter Entscheidungsfreiheit verständlich machen könnten.

Mit der KSchG Novelle 1997 hat der Gesetzgeber der neuen Entwicklung Rechnung getragen und – zwar nur für den Konsumentenbereich, jedoch nicht mehr nur im Familienkreis - vor Unterschrift die Aufklärung des Mithaftenden durch die Bank angeordnet. Die neuen §§ 25b ff KSchG sind auf Verträge anwendbar, die ab dem 01.01.1997 geschlossen wurden (7 Ob 217/99h). Die Sittenwidrigkeitsjudikatur gilt daneben weiter.

Allerdings hat der Gesetzgeber mit dem richterlichen Mäßigungsrecht des § 25d KSchG auch einen kleinen Pferdefuß eingebaut, möglicherweise in bester Absicht. Dessen unpräzise Formulierung verleitet nämlich Gerichte dazu, anstelle der vorgesehenen Rechtsfolge für nichtige Haftungserklärungen – i.e. Nichtigkeit nach § 25 c KSchG – lediglich eine Mäßigung (zB auf die Hälfte) nach § 25d KSchG auszusprechen. Das ist bedauerlich, denn das hat der Gesetzgeber nicht gemeint.

Die Schutzfunktion des § 25 c KSchG war vielmehr so gedacht, daß fragwürdige Kredite gar nicht erst vergeben werden; zumindest nicht solange der Interzedent mangels Aufklärung nicht weiß, was er oder sie tut. „Denn mit der Wendung ‚oder erkennen muss, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit voraussichtlich nicht erfüllen wird‘ wird eine Verpflichtung des Gläubigers angesprochen, die den Gläubiger zwingt, die Frage zu beantworten, ob der Kreditwerber von vornherein kreditwürdig war oder nur dank des fast sicher in Anspruch zu nehmenden Interzedenten (weiteren) Kredit erhielt. Kreditverbindlichkeiten, die auf solche Art und Weise „gesichert“ werden müssen, sollen verhindert werden; wenn der Kreditwerber von vornherein nicht kreditwürdig ist, soll er auch nicht – letztlich auf Kosten eines Interzedenten – Fremdkapital aufnehmen“ (RV 311 BlgNr. 20.GP 25, vgl. Kosesnik-Wehrle – Lehofer – Mayer, KschG, Rz 1 zu § 25c). Dabei kommt es nicht auf den subjektiven Eindruck des betreffenden Bankmitarbeiters an. (vgl. ebd., Rz 7 zu § 25c).

Fälle wie diese verdienen daher stets eine nähere Betrachtung, bevor die Bank ein Versäumungsurteil oder einen Wechselzahlungsauftrag erwirkt.

Benedikt Wallner ist RA in Wien,
Vertrauensanwalt des VKI und
hat die E 1 Ob 544/95 erwirkt

Quelle: Benedikt Wallner in: juridikum 4/2001, Seite 162ff (01.12.2001)