Abstract
Die Figur der Anlagestimmung bezeichnet keinen Anscheinsbeweis, sondern ein Bindeglied in der Kausalkette zwischen Prospekt und Anlageentscheidung: Mit diesem Bindeglied lässt sich die Kausalkette - streng - schließen, ohne der Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises zu bedürfen. Auch andere Bindeglieder (Intermediäre) kommen zum Schließen der Kausalkette in Betracht.


A. Das Problem

Sparer folgen zu tausenden dem Rat, in das Produkt X zu investieren. Später erleiden die Sparer - nun Anleger - einen Vermögensschaden, weil das Produkt X gescheitert ist. Es stellt sich heraus, dass Produkt X bereits schwerwiegende Geburtsfehler hatte, von denen ihnen aber nichts bekannt war, zumal sie im Kapitalmarktprospekt nicht genannt waren. Ihrer Klage auf Schadenersatz wegen Prospektmängel hält der Prospektverantwortliche mangelnde Kausalität entgegen, weil die Sparer den Prospekt gar nicht gelesen hatten - selbst wenn also die Risiken dort erwähnt gewesen wären, so das Argument, wären sie ihnen nicht zur Kenntnis gekommen. Es stellt sich die Frage, wie die Anleger nachweisen, dass sie das Produkt X im Vertrauen (FN 1) auf die vollständigen und richtigen Prospektangaben erworben haben und folglich nicht erworben hätten, wenn die zu gebende wesentliche (FN 2) Information im Prospekt enthalten gewesen wäre.


B. Anlagestimmung, strenger Beweis und Anscheinsbeweis

Eine Prima-facie-Beweislage ist schon aufgrund der prinzipiellen Erkennbarkeit des Geschehnisverlaufs nicht gegeben. Wegen des typischen Geschehnisverlaufs, dem herabgesetzten Beweismaß bei hypothetischer Kausalität und des Charakters der Prospektvorschriften als Schutzgesetze weist allerdings die Beweisführung der Kausalität bei der Prospekthaftung zahlreiche Gemeinsamkeiten mit dem Anscheinsbeweis auf.

Seit den letzten Arbeiten zur Anlagestimmung (FN 3) hatte die Rsp schon mehrfach Gelegenheit, sich mit dem kontroversiellen Meinungsstand auseinanderzusetzen: Während die in FN 3 genannten jüngeren Arbeiten kein Problem bei der Prospekthaftung erblicken, falls der Anleger den Prospekt nicht selbst gelesen hat, sahen das vorangegangene Arbeiten noch kritisch. (FN 4)

Der - erleichternde - Anscheinsbeweis ("schon erster Anschein spricht dafür, dass die Aufnahme der Information in den Prospekt auch diesen Kläger von einem Kauf abgehalten hätte") wird von der stRsp weiterhin abgelehnt, (FN 5) die Anlagestimmung (auch mangels Vorbringens) (FN 6) erst gar nicht untersucht. (FN 7) Als dritte Möglichkeit, die Kausalität der fehlerhaften Prospektinformation für die Anlegerentscheidung zu beweisen, wird mittlerweile der - streng zu führende - Beweis anerkannt, dass die zu gebende Information den Anleger, der den Prospekt nicht selbst gelesen hat, auf Umwegen erreicht hätte. (FN 8) Um diese zu beweisen, gilt dann ein geringeres als das Regelbeweismaß, handelt es sich doch um den Beweis eines hypothetischen Kausalverlaufs ("Was wäre gewesen, wenn die Information im Prospekt enthalten gewesen wäre?"). (FN 9) Hypothetisch ist der Kausalverlauf in diesen Fällen also nicht nur hinsichtlich der Frage des Alternativinvestments ("Was hätte der Kläger mit seinem Geld gemacht, wenn es nicht in das Produkt X geflossen wäre, und wie hätte sich dieses Alternativinvestment entwickelt?"), sondern bereits hinsichtlich der Frage, ob der Anleger überhaupt anders als geschehen disponiert hätte, wäre nur die Information im Prospekt enthalten gewesen.


C. Ex falso quodlibet

Wenn Widersprüche in den Axiomen enthalten sind, folgt aus ihnen Beliebiges. So ein Widerspruch in den Axiomen ist es, die fehlerhafte kapitalmarktrechtliche Information müsse linear kausal geworden sein für die Anlageentscheidung, (FN 10) am besten durch unmittelbare Lektüre der Anleger, notfalls durch Vermittlung des Fehlerhaften im Umweg über einen Dritten. Wie beim Verkehrsunfall wird bei diesem Axiom so getan, als habe die Anlageentscheidung nur eine Ursache, während sie doch typischerweise das Ergebnis eines komplexen Gefüges ist, das sich - neben dem eigentlichen Kapitalmarktprospekt - häufig zusammensetzt aus Tipps im Bekanntenkreis, Wirtschaftsnachrichten in Medien, veröffentlichten Analystenmeinungen, Produktwerbung, bebilderten Verkaufsbroschüren und schließlich dem Beratungsinhalt. (FN 11) Bedenkt man, dass all diese Quellen wiederum ineinander verwoben sind, weil auch Analysten auf den Prospektinhalt rekurrieren, Journalisten Analystenmeinungen rezipieren bzw abschreiben etc, so lässt sich eine als linear gedachte, monokausale Ursache ebenso wenig aufrechterhalten wie die Vorstellung, ein Anleger könnte völlig unbeeinflusst vom veröffentlichten Prospekt disponiert haben: Die Anlageentscheidung hat typischerweise multikausale Ursachen. In ihrer Gesamtheit ergeben sie die Anlagestimmung. Wer sich auf sie beruft, muss sie behaupten und beweisen. (FN 12)

Doch bezeichnet auch die Figur der Anlagestimmung ein Gefüge, das letztlich kausal auf den Prospekt zurückgeht, und nicht etwa einen Induktionsschluss, als den Wilhelm sie sieht, (FN 13) und auch nicht die in concreto unbeweisbare (oder zu beweisen unzumutbare) (FN 14) Vermutung eines typischen Geschehensablaufs, wie sie den Beweis ersten Anscheins kennzeichnet: "Gemäß der Figur der Anlagestimmung ist es deshalb nicht erforderlich, dass der Erwerber einer Aktie den Prospekt [...] gelesen oder gar die darin enthaltene fehlerhafte Information gekannt hat. Vielmehr ist die Möglichkeit einer Kausalität bereits dann gegeben, wenn sich unter dem kaufinteressierten Publikum 'eine dem Inhalt des Prospekts entsprechende Stimmung' gebildet hat, welche den Investor zur Kapitalanlage veranlasste - der Erwerb der Wertpapiere also auf die erzeugte Stimmung zurückzuführen ist. Die Anlagestimmung fungiert somit als Bindeglied in der Kausalkette zwischen Prospekt und Anlageentscheidung." (FN 15)


D. Kausalität durch Intermediäre (mittelbare Kausalität)

Oft gibt es einfachere, näherliegende Bindeglieder als die Anlagestimmung. Die Rechtsordnung fordert, dass den Anlegern zutreffende Information vorliegt, (FN 16) während die Wege, auf denen diese Information gereist sein mag, grundsätzlich keine Rolle spielen: "Hier kommen sämtliche Möglichkeiten in Frage", zumal Information nicht an ein bestimmtes Medium gebunden ist. (FN 17) Es geht also nur um die Frage, auf welchem Weg den Anlegern die im Prospekt enthaltene - oder meist: unterlassene - Information tatsächlich zugekommen ist oder hypothetisch zugekommen wäre.

Hat man erkannt, dass Kapitalmarktinformation auf mehreren Wegen Verbreitung findet als nur durch des Adressaten unmittelbare und höchstpersönliche Lektüre, kann die Kausalkette meist relativ leicht geschlossen werden, durchaus im konkreten Einzelfall. Erforderlich ist ein Vorbringen samt Beweisanbot, wie sich der Anlegerentschluss gestaltet hätte, wäre anstelle der fehlerhaften die richtige Information erteilt worden, und auf welchem Weg sie den Anleger erreicht hätte. Graf hat gezeigt, "dass es nicht um die Kausalität des Prospektes, sondern um die Kausalität der im Prospekt enthaltenen Information geht". (FN 18)

Lange Zeit war in der Literatur ohnehin nicht strittig, dass die Kausalkette, ausgehend vom fehlerhaften Prospekt hin zum vertrauenden Anleger, dann durch Intermediäre geschlossen werden könnte, wenn der Anleger selbst den Prospekt nicht kennt oder als Informationsquelle herangezogen hat, (FN 19) was den Regelfall einer Publikumsplatzierung darstellt. (FN 20) Dass so eine Kausalkette schließbar ist, wird in 8 Ob 105/13v neuerlich bejaht.

Auch die E 3 Ob 65/13z sieht es als unproblematisch an, dass die Klägerin die Informationen nicht direkt aus dem Prospekt, sondern mittelbar bezog: "Die Zuhilfenahme dritter Personen ist im arbeitsteiligen Wirtschaftsleben gang und gäbe. Werbebotschaften erreichen den Adressaten häufig über Mittelsmänner."

Dass die geschuldete Information den Anleger anders als durch eigene Lektüre erreichen kann, hält auch die E 10 Ob 46/13g für plausibel: "2.4 [...] Die Behauptung der Kläger, die Nachricht von einem den Jahresabschluss der in Rede stehenden Gesellschaften nicht oder nur eingeschränkt erteilten Bestätigungsvermerk hätte sich am Kapitalmarkt rasch verbreitet und zu einer Kaufwarnung geführt, sodass es auch nicht zu einer Kaufempfehlung durch ihren Anlageberater gekommen wäre, erscheint durchaus plausibel, zumal eine solche Information den Anleger auch anders als durch eigene Lektüre, beispielsweise durch Informationen seines entsprechend geschulten und informierten Anlageberaters, erreichen kann."

Graf beleuchtet diesen praktisch bedeutsamen Fall, dass die negative Information den Anleger zumindest mittelbar über die Finanzintermediäre erreicht hätte: Diese hätten keine Kaufempfehlung abgegeben. Er leitet daraus prima facie die Vermutung ab, dass solcherart beratene Anleger das betreffende Papier nicht erworben hätten. (FN 21) Bedenkt man die Verpflichtung des Intermediärs zur objektgerechten Beratung, schon um eigener Haftung zu entgehen, dann erweist sich allerdings der Schluss, bei "gefährlicher" positiver Information, die in concreto eben unterlassen wurde, wäre eine Kaufempfehlung nicht erteilt worden, als plausibel, auch ohne den Anscheinsbeweis bemühen zu müssen. Diese Kausalität lässt sich - durch Vernehmung des Anlegers wie auch des Intermediärs - prinzipiell nachweisen, sodass eine unzumutbare Beweisführung als Voraussetzung des Anscheinsbeweises nicht vorliegt. (FN 22)


E. Herabgesetztes Beweismaß für hypothetisches Geschehen

Denn nach gefestigter Rsp sind an den Beweis eines hypothetischen Kausalverlaufs keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. (FN 23) Dies nicht etwa wegen des unerkennbaren, aber typischen Geschehnisablaufs wie beim Anscheinsbeweis, sondern deswegen, weil anders als bei einer Schadenszufügung durch positives Tun diesfalls die Frage, wie sich die Geschehnisse hypothetisch entwickelt hätten im Falle pflichtgemäßen Handels, das unterblieben ist, naturgemäß nie mit letzter Sicherheit beantwortet werden könnte, denn dieses bloß hypothetische Geschehen hat eben nicht stattgefunden. (FN 24) Es genügt daher die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Schaden auf das Unterlassen des pflichtgemäßen Handelns zurückzuführen ist. Der Anleger hat ein Vorbringen zu erstatten, in dem die Verursachung eines Schadens plausibel gemacht wird. Dem Beklagten steht dann der Nachweis offen, dass ein anderer Verlauf wahrscheinlicher sei. (FN 25)

So kommt es auch beim strengen Beweis der mittelbaren Kausalität wieder zu einer Beweiserleichterung: (FN 26) Es genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit ("Plausibilität"), dass der Schaden auf das Unterlassen des pflichtgemäßen Handelns zurückzuführen ist. (FN 27) Das sind im Ergebnis dieselben Anforderungen wie diejenigen des Anscheinsbeweises, der ebenfalls als Beweiserleichterung bezeichnet wird, (FN 28) allerdings mit einer schwerwiegenden Ausnahme: Der Kausalablauf der Anlegerentscheidung sei angeblich durch einen freien individuellen Willensentschluss eines Menschen bestimmt, (FN 29) und wie sollte den jemand anderer als der geschädigte Anleger, der sich selbst entschlossen hat, beweisen bzw entkräften?


F. Ausnahmebestimmung fehlt

Doch ist es nicht die Willensbetätigung, die zum Schaden führt, sondern die fehlerhafte Kapitalmarktinformation. Die Willensbetätigung war gerade nicht auf das Herbeiführen eines Schadens gerichtet, sondern - höchstens - auf die Inkaufnahme eines Risikos. Gelingt hingegen der Beweis der Fehlerhaftigkeit des Prospekts und war der Fehler wesentlich, so liegt die durch den Fehler beeinflusste Willensbetätigung definitionsgemäß auf der Hand: Wesentlich sind die unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Angaben dann, wenn sie so beschaffen sind, dass sich unter Anlegung eines objektiven Maßstabs ein durchschnittlicher, verständiger Anleger von diesen Angaben bei einer Auswahlentscheidung unter mehreren Anlagemöglichkeiten beeinflussen lässt, sie somit bei seiner Anlageentscheidung, dem Abwägen zwischen Ertragsgesichtspunkten und Risikogesichtspunkten gerade zu Gunsten dieses Anlageobjekts mitberücksichtigt. (FN 30) Hier haben wir es wieder mit einem typischen Geschehnisverlauf zu tun.

Wendet also der Prospektverantwortliche ein, sogar seine Aufnahme der kritischen Information in den Prospekt, den der Anleger nicht gelesen hat, hätte am Anlegerentschluss nichts geändert, so kann damit auch gemeint sein, der Anleger hätte trotz Erhalt der kritischen Information ebenso disponiert, weil er sie bewusst in Kauf nahm. Einen solchen Fall zu beweisen, also dass der Adressat trotz Erhalt der gebotenen, aber pflichtwidrig unterlassenen Information ebenso disponiert hätte, steht dem Informationspflichtigen (FN 31) bei § 25c KSchG letzter Satz offen. Anders als dort fehlt aber der Prospekthaftung eine § 25c letzter Satz KSchG vergleichbare Ausnahmebestimmung, zumal dann der Schaden nicht "im Vertrauen auf" die, (FN 32) sondern unter Inkaufnahme der Prospektangaben entstanden wäre.

G. Lauterkeitsrecht

Graf hat auch gezeigt, dass es Zweck der Prospekthaftung ist, den Emittenten dazu zu bringen, zutreffende und vollständige Angaben in den Prospekt aufzunehmen. (FN 33) Das macht auch lauterkeitsrechtlich Sinn: Der rechtsbrechende Emittent soll haftungsrechtlich nicht besser gestellt werden als sein rechtstreuer Mitbewerber - ein Gedanke, den bereits Jhering formuliert hat! (FN 34) Das spielt vor allem für unterlassene, wesentliche Information eine Rolle: Der rechtstreue Emittent muss sich bemühen, auch ihm unliebsame Information in den Prospekt (Risikohinweise) aufzunehmen, sie nicht zu verniedlichen etc. Dabei kann es sich um so schwerwiegende Hinweise handeln, dass ihre Erwähnung dazu führt, dass sich der durchschnittlich verständige Anleger zum Investment regelmäßig nicht entschließen würde. Bestünde kein abstrakter Schutz des Glaubens, den schon die Prospektveröffentlichung bewirkt, so müsste doch geradezu der Rat an den Emittenten lauten: Unterlasse besser diese investitionsgefährdende Information im Prospekt! Damit wäre dem Gesetz, das zu vollständiger Information verpflichtet, natürlich nicht genüge getan. (FN 35)


H. Adressaten des Prospekts

Auch mit dem Adressatenkreis des Prospekts lässt sich der Zweck der Prospekthaftung begründen, den Emittenten dazu zu bringen, zutreffende und vollständige Angaben in den Prospekt aufzunehmen:

Auch wenn nach verbreiteter Auffassung der "vollständige Prospekt [...] meist sehr umfangreich und für den Laien darüber hinaus schwer verständlich [ist], sodass viele Anleger diesen vor Vertragsabschluss nicht lesen und auf Empfehlungen ihrer Anlageberater vertrauen", (FN 36) so ist der Prospekt nach dem Regime des § 7 KMG doch an die Endanleger gerichtet. (FN 37) Ziel des österr Gesetzgebers wie auch der Europäischen ProspektRL war es, den Anlegern selbst ein leicht verständliches, genaues und vollständiges Bild zu vermitteln; Intermediäre des Prospektinhalts werden zwar - schon entsprechend den Marktgegebenheiten - vom Adressatenkreis nicht ausgeschlossen, (FN 38) aber auch nicht vorausgesetzt. Aus dem ausdrücklichen Bestreben des Gesetzgebers nach einfacher und verständlicher Sprache sowie nach Zusammenfassung in nur 2.500 Worten (FN 39) leuchten als Adressaten die Endverbraucher mit typisiert durchschnittlichem Wissen hervor. Damit wird eine vertragsähnliche Beziehung zwischen der Emittentin (bzw sonstigen Prospektverantwortlichen) und den Anlegern selbst statuiert und ein Vertrauenstatbestand für die geschuldete Information geschaffen, der haftungsrechtlich sanktioniert ist: "Es handelt sich dabei um eine typisierte Vertrauenshaftung aus Verschulden bei Vertragsabschluss. Der Prospekt bildet im Regelfall die Grundlage für den wirtschaftlich bedeutsamen und mit Risken verbundenen Beteiligungsbeschluss." (FN 40)


I. Vom Genehmigungs- zum Informationsregime

Vor dem KMG BGBl 1991/625 musste die Emission von Schuldverschreibungen noch vom Bundesminister für Finanzen genehmigt werden. Überlegungen, im Zuge der Vorbereitung des österreichischen Beitritts zur Europäischen Union ein verpflichtendes Rating einzuführen, scheiterten an "Hinweisen der Wirtschaft darauf, dass ein Pflichtrating gegenüber dem europäischen Ausland Konkurrenz- und Kostennachteile bringen könnte". Nachdem sich allerdings "das Bankwesen nach der Art eines Gentlemen's Agreement" dazu bereit erklärt hatte, sich nicht an der Verbreitung von solchen Emissionen zu beteiligen, die geeignet erscheinen, die berechtigten Interessen der Anleger zu gefährden oder die Funktionsfähigkeit das Kapitalmarkts zu beeinträchtigen, wurde an die Stelle der bisherigen Genehmigung nun das Regime der "umfangreichen Information der Anleger durch entsprechende Prospekte" gesetzt, flankiert durch Prospektprüfungen und sodann nochmals abgesichert durch gerichtliche und verwaltungsrechtliche Straftatbestände. (FN 41) Man sieht: Der Gesetzgeber selbst begegnete diesem - politisch unvermeidlichen - Regimewechsel zunächst mit gewissem Misstrauen und hoffte, mit dem neuen Gesetz eine der alten behördlichen Genehmigung vom Schutzgedanken her gleichwertige Emissionsvoraussetzung zu schaffen.

"Anlegerschutz" ist ausdrücklich als Gesetzeszweck genannt, (FN 42) auf die Europäische ProspektRL 89/298/EWG wird ausdrücklich Bezug genommen. Diese RL wurde in der Folge ersetzt durch die EU-ProspektRL 2003/71/EG. Ein erklärtes Ziel auch dieser RL ist wiederum der Anlegerschutz. (FN 43)

§ 7 Abs 1 KMG sucht den zufälligen Beschädigungen dadurch vorzubeugen, dass die Prospektverantwortlichen zu sämtlichen Angaben verpflichtet werden, die erforderlich sind, damit die Anleger sich ein fundiertes Urteil bilden können. (FN 44) Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB sind abstrakte Gefährdungsverbote, die dazu bestimmt sind, die Mitglieder eines Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen. (FN 45) Bei der Übertretung eines Schutzgesetzes ist es stRsp, dass der Geschädigte nur die Übertretung und den Eintritt des Schadens beweisen muss. Es bedarf keines strikten Nachweises des Kausalzusammenhangs (FN 46) - auch dies ein Gleichklang mit dem Anscheinsbeweis.


J. Prospektpflicht ist Etikettierungspflicht

Auch im Anlageprodukt muss drin sein, was draufsteht, und darf nicht drin sein, was nicht draufsteht. Vor kurzem erschütterte der sogenannte Pferdefleischskandal Europa, weil in angeblichen Rindfleischprodukten Pferdefleisch (das in Großbritannien, wo der Skandal seinen Ausgang nahm, nicht verzehrt wird) nachgewiesen wurde, bzw Spuren davon. Zwar ließ sich die Brisanz des Themas nicht mit dem früheren BSE-Skandal vergleichen, der noch zum Inhalt hatte, dass der Verzehr infizierten Fleisches zum Tod führen kann. Denn in großen Teilen Europas wird Pferdefleisch ohnehin verzehrt - freilich nicht von allen: Die Deklarationspflicht soll abstrakt sicherstellen, dass überhaupt Kenntnis genommen werden kann vom Inhalt des Produkts. Solchen Kunden, die deklariertes Pferdefleisch unter keinen Umständen verzehren würden, soll damit die Möglichkeit geboten werden, die Ware von ihrem Speisezettel auszuschließen. Pferdefleischliebhabern aber, die nichts Anstößiges am Verzehr finden, sei vor Augen gehalten, dass in anderen Kulturen auch das Fleisch von solchen Tieren (FN 47) zum Speisezettel zählt, die hierorts ein Nahrungstabu darstellen: Wer zuhause einen Hund oder eine Katze hält, wird wenig Freude haben, Spuren von Artgenossen auf seinem Teller wiederzufinden. Die Deklarationspflicht gründet also letztlich nicht bloß auf einem Schutzgedanken, sondern auf der privatautonomen Entscheidungsfreiheit des Kunden: Nicht ob die Abweichung vom Etikett etwa geringfügig, sondern ob sie ex ante für die privatautonome Kundenentscheidung wesentlich ist, mithin: ob sich unter Anlegung eines objektiven Maßstabs ein durchschnittlicher, verständiger Kunde von diesen Angaben bei seiner Auswahlentscheidung unter mehreren Kaufmöglichkeiten beeinflussen lässt, entscheidet über die Richtigkeit der Etikettierung oder ihre Punzierung als Etikettenschwindel.

(FN 1)
Vgl § 11 KMG: (1) Jedem Anleger haften für den Schaden, der ihm im Vertrauen auf die Prospektangaben [...], die für die Beurteilung der Wertpapiere oder Veranlagungen erheblich sind, entstanden ist [...]. 

(FN 2)
RIS-Justiz RS0108624.

(FN 3)
Graf, Die Prospekthaftung und der Kausalitätsbeweis des geschädigten Anlegers, GES 2011, 203; Hofmann, Kausalitätserfordernis und "positive Anlagestimmung" bei der Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformation, GES 2011, 317; Ladstätter, Kausalität und Anscheinsbeweis bei der Prospekthaftung nach dem InvFG 2011, wbl 2012, 255. 

(FN 4)
Kalss, Anlagestimmung - ein Instrument des österreichischen Kapitalmarktrechts? GesRZ 2010, 245; Gruber/Zahradnik, Zum Kausalitätsbeweis bei der Prospekthaftung, RdW 2010, 619; Schobel, Anlagestimmung und Kausalitätsbeweis, in FS Koziol (2010) 1111. 

(FN 5)
RIS-Justiz RS0108627; jüngst wieder 10 Ob 48/13a. 

(FN 6)
Vgl die E 8 Ob 105/13v, die eine Kausalkette für bewiesen hält, und zwar ausdrücklich, ohne die Figur der Anlagestimmung zu untersuchen, denn: "Zu einer durch die inkriminierten Bestätigungsvermerke herbeigeführten 'Anlagestimmung' hat der Kläger kein Vorbringen erstattet." Vgl auch 10 Ob 69/11m. 

(FN 7)
In 4 Ob 5/13h wiederum haben sich die Kläger auf drei konkret vorgelegte Werbungen berufen, deren Unrichtigkeit sie behaupten. Dieses Vorbringen war "unabhängig von einer allfälligen Anlagestimmung" geeignet, den für den Schadenersatzanspruch vorauszusetzenden Kausalzusammenhang zwischen der behaupteten irreführenden Werbung und der Schädigung der klagenden Anleger darzulegen. 

(FN 8)
Vgl Wilhelm, Anm zu BGH 8. 7. 2010, III ZR 249/09 ecolex 2011, 402. 

(FN 9)
RIS-Justiz RS0022900 (T 4, T 25, T 26, T 28). 

(FN 10)
Wie es unscharf noch in der LeitE 6 Ob 2100/96h hieß. 

(FN 11)
Vgl auch OLG Wien 25. 2. 2013, 30 R 50/12m: "Keiner weiteren Begründung bedarf nämlich die Tatsache, dass nicht nur die einzelnen Anleger, sondern zB auch Mitbewerber von Emittenten, Wirtschaftsmedien und andere interessierte Kreise die Szenerie beobachten und ihre Schlüsse aus Informationen ziehen, die Emittenten von Wertpapieren veröffentlichen". 

(FN 12)
8 Ob 105/13v. 

(FN 13)
Anm zu 8 Ob 105/13v ecolex 2014, 228. 

(FN 14)
Voraussetzung des Anscheinsbeweises ist stets der Beweisnotstand (Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht, 8. Auflage, Rz 770 mwN), mithin Fälle, "in denen konkrete Beweise vom Beweispflichtigen billigerweise nicht erwartet werden können" (RIS-Justiz RS0123919). "Beim Anscheinsbeweis (auch: Prima-facie-Beweis) werden Erfahrungssätze herangezogen, um auf tatbestandsrelevante Tatsachen schließen zu können, die nicht direkt erwiesen werden können." (Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht, 2. Auflage, Rz 781). 


(FN 15)
Friedrich, Haftung bei fehlerhafter Ad-hoc-Publizität insbesondere nach § 826 BGB 9 mwN.

(FN 16)
Graf, aaO 203. 

(FN 17)
Graf, aaO 207 f. 

(FN 18)
Graf, aaO 207. 

(FN 19)
Vgl die bei Graf, aaO, gegebenen Nachweise unter FN 4, 7, 8 und 9. 

(FN 20)
"Einzelne Anleger sind regelmäßig nicht in der Lage, sich selbst ausreichende Informationen zu beschaffen, weil entweder die Transaktionskosten hierfür zu hoch oder die eigene Nachfragemacht zu gering sind." (Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft, der Schweiz und USA [2005] 646). 

(FN 21)
Graf, aaO 211. 

(FN 22)
Eine andere Frage ist, ob es bei den Massenschäden, die im Gefolge von Prospektfehlern häufig anhängig gemacht werden, weil das Produkt an tausende Anleger vertrieben worden ist, prozessual opportun ist, tausende Male die immer gleichen Fragen an Anleger und Intermediäre zu richten. 

(FN 23)
10 Ob 48/13a unter Verweis auf 8 Ob 105/13v. 

(FN 24)
10 Ob 48/13a. 

(FN 25)
10 Ob 48/13a; RIS-Justiz RS0022900. 

(FN 26)
RIS-Justiz RS0022900 [T 26] spricht vom "erleichterten Kausalitätsbeweis". 

(FN 27)
2 Ob 17/13h uva. 

(FN 28)
ZB von 10 Ob 48/13a. 

(FN 29)
RIS-Justiz RS0040288. 

(FN 30)
RIS-Justiz RS0108624. 

(FN 31)
Die Beweispflicht liegt dort beim Gläubiger (2 Ob 288/03x; 3 Ob 58/05h). 

(FN 32)
RIS-Justiz RS0108626: Die Ursächlichkeit ist gegeben, wenn sich der Anleger im Vertrauen auf den ihm bekannten Prospekt zum Kauf entschlossen hat, wenn er also die unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospektangaben tatsächlich zur Grundlage seiner schadensauslösenden Disposition gemacht hat. 

(FN 33)
Graf, aaO 209. 

(FN 34)
"[...] welche Verrückung des natürlichen Gleichgewichtes zwischen beiden Parteien! Die Gefahr, die der ungünstige Ausgang ihnen droht, besteht für die eine darin, dass sie das Ihrige verliert, für die andere bloss darin, dass sie das unrechtmässiger Weise Vorenthaltene herausgeben muss, der Vortheil, den der günstige Ausgang ihnen in Aussicht stellt, für die eine darin, dass sie Nichts einbüßt, für die andere, dass sie auf Kosten des Gegners sich bereichert. Heisst das nicht geradezu, die schamlose Lüge herauszufordern, und eine Prämie auf Begehung von Treulosigkeiten setzen?" Jhering, Der Kampf ums Recht (1874) 74 f; Kocholl, Punitive damages in Österreich: über Schadensprävention und Privatstrafe im Zivilrecht (2001) 45 (FN 165) fügt noch einen Punkt hinzu: die zugunsten des Rechtsbrechers wirkende, geringe Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einem Prozess kommt. 

(FN 35)
Für die zu beurteilende Irreführungsgeneigtheit der Prospektangaben ist dann § 2 UWG analog heranzuziehen, vgl 6 Ob 2100/96h. 

(FN 36)
Ladstätter, aaO 256. 

(FN 37)
Insofern nicht richtig Hofmann, aaO 317 "Prospekte richten sich an Fachkreise und Analysten". 

(FN 38)
Ebenso wie andere, herkömmliche Handlungsanleitungen (zB Betriebsanleitungen für technische Produkte, pharmazeutische Beipackzettel, [...]) in ihren Adressatenkreis den Endbenutzer zwar einschließen und daher zumindest versuchen, auf dessen niedrig gedachtes Rezeptionsniveau abzustellen, deswegen aber nicht jeden Fachanwender (Mechaniker, Pharmazeut, [...]) ausschließen, besteht beim Prospekt kein Grund für die Annahme, seine Rezeption erfolge ausschließlich unmittelbar durch den Endanleger.

(FN 39)
Vgl ErläutRV BlgNR 22. GP BT zu § 7; ErwGr 21 der EmissionsprospektRL. 

(FN 40)
RS0107352. 

(FN 41)
ErläutRV 147 BlgNR 18. GP. 

(FN 42)
ErläutRV 147 BlgNR 18. GP. 

(FN 43)
RL 2003/71/EG, Präambel 16.

(FN 44)
Auch § 131 InvFG. 

(FN 45)
RIS-Justiz RS0027710. 

(FN 46)
RIS-Justiz RS0022474; RIS-Justiz RS0027462. 

(FN 47)
Vgl John Feffer, www.alternet.org/story/13387/the_politics_of_dog (Stand 27. 8. 2014).



Quelle:    Benedikt Wallner, Wege des Anlegerwissens beim Etikettenschwindel, VbR 2014/87 (147)