Asylrechtsdebatte: Christian Romanoski antwortet Benedikt Wallner

In Bezug auf die Sinnlosigkeit der Kritik an „geltender“ Judikatur hätte der Autor des gestern an dieser Stelle publizierten Kommentars („Lernen Sie Jus, Herr Abteilungsleiter!“) dann Recht, wenn es diese Judikatur als solche noch gäbe. Er scheint allerdings völlig übersehen zu haben, dass die von ihm zitierten Entscheidungen des OGH mittlerweile den Bundesgesetzgeber dazu veranlasst haben, den Gerichtshof mittels authentischer Interpretation (ein Mittel, zu dem höchst selten gegriffen wird – in der Sache handelt es sich um ein Gesetz mit rückwirkender Kraft) zu korrigieren.

In der Begründung des Ausschusses für innere Angelegenheiten des Nationalrates heißt es da mit großer Deutlichkeit: „Diese in den genannten Entscheidungen geäußerte Rechtsansicht des OGH sowie die durch sie zu besorgenden Folgewirkungen erscheinen dem Bundesgesetzgeber in mehrfacher Hinsicht nicht unproblematisch: Zum einen laufen sie in entscheidenden Punkten jenen Intentionen zuwider, die vom Gesetzgeber des Bundesbetreuungsgesetzes BGBl. 405/1991 mit der Erlassung dieses Gesetzes verfolgt wurden und denen durch Ausschluss eines Rechtsanspruches auf Bundesbetreuung in § 1 Abs. 3 leg. cit. Ausdruck verschafft werden sollte.“ Durch die rückwirkende Neuordnung der Bundesbetreuung hat der Bundesgesetzgeber seine Rechtssetzungsprärogative wahrgenommen, die letztlich Ausfluss des demokratischen Prinzips unserer Bundesverfassung ist. Damit ist auch die zitierte Judikatur überholt.

Wenn der Autor des Artikels das nicht erkennen will und ein ordentliches Gericht gegen den Gesetzgeber ausspielt, wie im Artikel geschehen, so muss er sich die Frage nach seinem Demokratieverständnis gefallen lassen. Bislang geht das Recht jedenfalls noch vom Volk aus und besteht die Rechtfertigung richterlicher Unabhängigkeit in der völligen Unterordnung der justiziellen Gewalt unter die Legislative. Wie es Montesquieu klassisch ausgedrückt hat: „La bouche qui prononce les paroles de la loi“. Wenn Treue zum Willen des Gesetzgebers „juristischer Unverstand“ ist, so kann und muss jeder Staatsdiener auf diesen „Unverstand“ stolz sein.

Es ist ja nicht anzunehmen, dass ein auch mit Asyl befasster Rechtsanwalt die erwähnten Entwicklungen einfach nicht verfolgt hätte und seine ganze Argumentation nur auf Unkenntnis dieser neuesten Entwicklungen beruht. Ein Blick ins Parlament fördert die Rechtskenntnis.

Quelle: derStandard.at / 21.11.2003 / von Christian Romanoski