Im Asylwesen regiert der juristische Unverstand

Zähneknirschend hat man sich mittlerweile daran gewöhnt, in welch erstaunlichem Maße Wolfgang Schüssels Plan einer „Regierung der besten Köpfe" danebengegangen ist. Doch konnte man als gelernter Österreicher lange Zeit auf die Beharrungskraft des Beamtentums hoffen, das eine sachgerechte Verwaltung schon gewährleisten werde. Nichts da. Auch in der hohen Beamtenschaft hat die Qualität der Regierung mittlerweile deutliche Spuren hinterlassen – und oft drängt sich der Schluss auf, auch hier agierten ziemlich wenige „beste Köpfe".

Der Abteilungsleiter der Asylabteilung im Innenministerium, Christian Romanoski, sieht sein Ressort immer noch im Recht (STANDARD, 13.11.2003), obwohl es der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, obdachlosen Asylwerbern sei verpflichtend Unterkunft und Versorgung durch den Staat zu gewähren, hartnäckig nicht nachkommt; was bereits eine Welle von – letztlich wohl mehreren tausend – Anträgen auf einstweilige Verfügung provoziert, die derzeit anrollt.

Romanoski geniert das offenbar nicht; er versteigt sich gar zu der Formulierung, der Oberste Gerichtshof habe die Unterbringungspflicht des Bundes „entgegen dem Gesetzeswortlaut" festgestellt – und verlässt mit dieser Rechtfertigung die Regeln des juristischen Diskurses: Man kann gewiss auch eine Meinung dazu haben, was und wie der Oberste Gerichtshof judiziert. Die Rechtswissenschaft ist voll von durchaus kontroversiellen Meinungen darüber. Nur eines kann man nicht tun: die Geltung des Spruchs einer OGH-Entscheidung anzweifeln.

Dummheit oder Bosheit?

Man kann also nicht sagen, der OGH hat sich geirrt oder etwas Falsches entschieden, und deswegen richte ich mich nicht nach seiner Anordnung. Oder genauer: Wenn man es tut, ist das halt höchst unklug. Denn es treten daraufhin Mechanismen des Exekutionsrechtes in Kraft, die, so sind sie eben konstruiert, immer zur Niederlage des eigenen Standpunkts führen müssen – und in Fällen wie diesem flutartige Ausmaße annehmen können. Jeder Jurist, der über das 1. Semester hinausgekommen ist, weiß das.

Doch wie das Recht irgendwann begonnen hat, zwischen Wahnsinn und Blödsinn zu unterscheiden, so empfiehlt sich auch in der Politik stets die Unterscheidung zwischen Dummheit und Bosheit. Romanoski ist kein Unbekannter. Früher schrieb er in jener Abteilung, der er heute vorsteht, selbst Bescheide in Asylverfahren; legendäre Bescheide, die Anwälte und Flüchtlingshelfer bis heute im Blindtest erkennen. „Bei ihm mussten wir manchmal Passagen rausstreichen, weil sie so unerträglich waren", zitierte die Stadtzeitschrift Falter kurz nach Romanoskis Bestellung einen Ministeriumskollegen.

Und dabei war das nicht Herausgestrichene immer noch unerträglich genug: Einen ablehnenden Asylbescheid für einen meiner Klienten (der später beim Verfassungsgerichtshof Recht bekam) begründete Christian Romanoski einmal mit der Wendung: „So ist Sicherheit im Augenblick des Betretens dieses Staates als gegeben anzunehmen und vermag einmal erlangte Verfolgungssicherheit durch Verstreichen von Zeit nicht zu wachsen, zumal diesem Begriff nichts Graduelles inhäriert, das heißt nur die Disjunktion sicher/unsicher in Rede stehen kann."

Dabei wusste er wohl, dass mein Mandant nicht deutscher Zunge war, sprich: Romanoski wollte nicht verstanden werden.

Heute, im Widerschein seiner lichtvollen Schelte für den Obersten Gerichtshof, hege ich sogar die Vermutung: Romanoski hat einfach nicht die Aufgabe, dem geltenden Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Er ist die Axt des Innenministers im Walde der Gesetze, denen er hochmütig, aber keineswegs ignorant gegenübersteht.

Diese Unterscheidung nach Vorsatz oder bloßer Fahrlässigkeit kann eine Rolle spielen, sobald später einmal danach gefragt wird, ob die Allgemeinheit den immensen Vermögensschaden, den sie durch schlechte Amtsausübung erleidet, von den handelnden Akteuren ersetzt erhält.

Quelle: STANDARD / 20.11.2003 / Seite 31 / von Dr. Benedikt Wallner

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