Sittenwidrige Bürgschaften sind keine Einzelfälle 

Auch Kinder werden manchmal als Bürgen herangezogen, am häufigsten haften Ehepartner.

Österreichische Gerichte entscheiden immer häufiger für die Bürgen und gegen die Bank. Der Grund: Die Einkommenssituation der Bürgen wird von der Bank zu wenig geprüft.

Wien. Den Ehegatten oder andere nahe Verwandte als Absicherung für Privat-Kredite als Bürgen mit ins Boot zu holen, ist bei den Banken eine übliche Praxis. Etwa 15 Prozent aller Kredite werden in Österreich durch Bürgschaften abgesichert.

Der mit Abstand häufigste Fall ist der, dass ein Ehegatte für einen Kredit des anderen Ehegatten bürgt. Das allein ist nicht negativ zu bewerten. Nun passiert es aber immer häufiger - wie im jüngst entschiedenen Fall des Wiener Landesgerichts für Zivilrechtssachen mit der Aktenzahl 13 Cg 3/00 -, dass eine Bürgschaft für sittenwidrig und damit als nichtig erklärt wird.

Der Rechtsexperte vom Verein für Konsumenteninformation (VKI), Peter Kolba, der schon mehrere Fälle dieser Art für Konsumenten durchgefochten hat: "Das ist ein klassisches Verbraucherproblem. Schuldnerberatungen können ein Lied davon singen." Denn zumeist fallen die Fälle erst dann auf, wenn der mit in die Haftung genommene Ehepartner vor dem finanziellen Ruin steht.
Eine Rechtssprechung zu dem Thema Angehörigen- Bürgschaft hat in Österreich erst 1999 begonnen.
Geburtshelfer des damals bahnbrechenden Urteils war der Rechtsanwalt Benedikt Wallner. Wallner: "Erst seit kurzem ist es auch in Österreich Praxis, dass die Bürgen die hohen Summen nicht zurückzahlen müssen. Dafür kommt das jetzt aber immer öfter vor."

Drei Voraussetzungen

Die Gerichte beurteilen eine Bürgschaftserklärung in der Regel als sittenwidrig, wenn folgende drei Voraussetzungen gegeben sind:

  1. Es besteht ein krasses Missverhältnis zwischen dem Haftungsumfang und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgen, und 
  2. bei dem Bürgen ist "eine verdünnte Willensfreiheit" feststellbar - etwa weil er Angehöriger ist, und 
  3. die Bank verschleiert die wirtschaftliche Tragweite der Bürgschaft. 

Relativ häufig ist der Fall, dass eine Hausfrau, die kein Einkommen hat, nach einer Scheidung für die Schulden des geschiedenen Mannes in die Pflicht genommen wird. "1,5 bis zwei Millionen Schilling sind durchaus übliche Beträge, die dann zurückgezahlt werden müssen", weiß Hans Grohs vom Dachverband der Schuldnerberatung in Linz. Doch die Sittenwidrigkeit geht sogar noch weiter.

Auch minderjährige Kinder werden von den Banken mitunter als Bürgen für die Kredite ihrer Eltern herangezogen.

Kinder als Bürgen

Erste Bank-Privatkundenexperte Wolfgang Lotter: "In manchen Fällen kann das gemacht werden, wenn die Kinder auch Nutznießer sind. Grundsätzlich entspricht das aber nicht unseren Richtlinien." Anders die Bank Austria, die den erwähnten Fall gegen eine Ehefrau verloren hat: "Wir akzeptieren Minderjährige als Bürgen nie."
Zwar ist es bei den meisten Banken üblich, die Einkommenssituation der Personen, die bürgen sollen, zu überprüfen, doch im Vorfeld fällt das meist schwer. "Zum Zeitpunkt der Einräumung des Kredits ist oft nicht absehbar, wie sich die Familien- und Vermögensverhältnisse entwickeln werden", erklärt Lotter.

Es bleibt die Tatsache, dass die österreichischen Gerichte immer öfter zu Gunsten der Bürgen und gegen die Banken entscheiden. Wie hoch die Summe ist, um die die Banken wegen sittenwidriger Bürgschaften umfallen, ist ungewiss. Fest steht aber, dass die Banken letztendlich selbst dafür büßen, wenn sie die Vermögenslage ungenau prüfen und die Bürgen zu wenig über die Tragweite des Geschäfts aufgeklärt haben.

Sittenwidrig

Bürgschaften werden von den Gerichten als sittenwidrig erklärt, wenn ...

  1. ein krasses Missverhältnis zwischen dem Haftungsumfang und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgen besteht und 
  2. bei dem Bürgen "eine verdünnte Willensfreiheit" feststellbar ist (etwa weil es sich um einen Angehörigen des Kreditnehmers handelt) und 
  3. die Bank die wirtschaftliche Tragweite der Bürgschaft verschleiert bzw. nicht genügend klarstellt. 

Bildtext: Ehepartner werden von den Banken gerne als Bürgen genommen. Oft bleiben einkommenslose Hausfrauen auf dem Schuldenberg des Ehemanns sitzen. Gerichte dulden das immer seltener.

Quelle: Wirtschaftsblatt, 28. 8. 2001 | Seite C3