Vergeben, versenkt, verklagt. Nach der Pleite des Baukonzerns Alpine zerren mehrere Großbanken die Republik Österreich vor Gericht. Streitwert: 151 Millionen Euro.
Ein Schlussverkauf der anderen Art: Seit Oktober bringt die Karner & Dechow Industrie-Auktionen GmbH mit Sitz in Bad Aussee nach und nach die Reste eines einst stolzen Unternehmens unter den Hammer. Maschinen, Baustoffe, Werkzeuge, Nutzfahrzeuge, Pkw. Bis vor wenigen Monaten waren sie Teil des Vermögens des Salzburger Baukonzerns Alpine. Jetzt sind sie Teil der Konkursmasse.
Mitte Juni dieses Jahres kollabierte die Alpine Bau GmbH, kurz darauf die übergeordnete Alpine Holding GmbH. Obwohl die Aufräumarbeiten der Masseverwalter noch voll im Gange sind, gilt Alpine längst als die mit Abstand größte Pleite der Zweiten Republik. Laut Kreditschutzverband von 1870 werden die Gläubiger, 9400 an der Zahl, auf dem weitaus größten Teil ihrer Forderungen von mehr als vier Milliarden Euro sitzenbleiben: allen voran Lieferanten, Finanz, Krankenkassen, Versicherungen, Anleger – und die Banken.
Zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung schuldete Alpine zwei Dutzend Banken aus dem In- und Ausland einen Betrag in der Größenordnung von 600 Millionen, der großteils unbesichert war. Aber eben nur großteils. Für zunächst 180 Millionen Euro hatte die Regierung zwischen 2009 und 2010 Garantien gewährt. Und diese werden nun Gegenstand einer in dieser Form beispiellosen gerichtlichen Auseinandersetzung: sieben Banken gegen die Republik.
151,4 Millionen Euro zuzüglich Zinsen
Am 7. November setzte die Wiener Anwaltskanzlei Fellner Wratzfeld & Partner zwei Klagschriften an das Handelsgericht Wien ab – im Namen von Bawag, Erste Bank, Österreichische Volksbanken AG, Raiffeisen International, Raiffeisen Oberösterreich, UniCredit Bank Austria sowie der spanischen Bankia S. A. Beklagte Partei: die Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur. Streitwert: einmal 80 Millionen Euro geradeaus, einmal 71,429 Millionen Euro – insgesamt 151,4 Millionen Euro zuzüglich Zinsen.
Beide Klagen liegen profil vor. Da heißt es: „Die beklagte Partei hat für jede klagende Partei Garantien gemäß dem Unternehmensliquiditätsstärkungsgesetz (,ULSG‘) abgegeben. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der ALPINE Bau mit Wirkung zum 20.6.2013 ist der Haftungsfall gemäß ULSG eingetreten. Die klagenden Parteien haben die Garantien gezogen. Die beklagte Partei ist ihren Zahlungsverpflichtungen aus den jeweiligen Garantien bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht nachgekommen.“
Das ULSG also. Im Jahr 2009, die US-Finanzkrise war in Europa angekommen, hatte auch die heimische Industrie große Probleme, an Geld zu gelangen. Um die Wirtschaft nicht abzuwürgen, ließ sich die Republik auf einen Deal ein: Wirtschaftlich gesunde Unternehmen, Leitbetriebe zumal, die Kredite brauchten, sollten staatlich unterstützt werden. Die Koalition erklärte sich gegenüber den Banken bereit, für bis zu 50 Prozent der jeweils vergebenen Kreditsumme zu haften. Gut 50 Unternehmen sollten zwischen 2009 und 2010 am ULSG-Programm teilnehmen – so etwa der Möbelhersteller Bene, der Automobilzulieferer Pankl Racing Systems und eben Alpine.
Am 9. Dezember 2009 schloss Alpine auf Grundlage des ULSG einen Kreditvertrag mit den sieben genannten Banken: 200 Millionen Euro, wovon die Republik für die Hälfte eine Ausfallshaftung übernahm. Ein Jahr darauf, am 22. Dezember 2010, holte der Baukonzern erneut frisches Geld ab, diesmal bei sechs Banken: 160 Millionen Euro, der Bund haftete mit 80 Millionen Euro. In Summe zog Alpine aus dem ULSG-Programm 360 Millionen Euro. Der Staat stand für 180 Millionen Euro gerade. Als am 20. Juni 2013 das Insolvenzverfahren über Alpine Bau eröffnet wurde, waren davon noch besagte 151,4 Millionen Euro ausständig.
Der Staat will nicht zahlen
Bereits eine Woche nach der Zahlungsunfähigkeit forderten die Banken die Garantien ein. „Gemäß … der ULSG-Richtlinie ist der Haftungsbetrag für Forderungen, bei denen durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Fälligkeit eingetreten ist, sofort fällig“, schreiben die Anwälte von Fellner Wratzfeld. „Die beklagte Partei hätte das aushaftende Kapital spätestens nach Inanspruchnahme durch die klagenden Parteien umgehend zu entrichten gehabt. Die beklagte Partei hat sich bis heute geweigert, die Haftungsbeträge auszuzahlen.“
Bank-Austria-Sprecher Martin Halama hält dazu im Namen der beteiligten Bankhäuser fest: „Um einen Verfall unserer Ansprüche durch Fristversäumnis zu verhindern, blieb uns gar nichts anderes übrig, als Klage gegen die Republik einzubringen. Nichtsdestotrotz hoffen wir nach wie vor auf ein Einlenken der Republik.“
Der Staat steht bei sieben Banken mit 151 Millionen Euro in der Kreide – und will nicht zahlen. Wie das?
Nach profil-Recherchen scheiterte die Auszahlung bisher an jenem Mann, der im Rufe steht, besonders unbequem zu sein: Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur und damit erster Anwalt des Bundes. Er sagt: „Grundlage für die Haftungsübernahme gemäß ULSG war, dass ein Unternehmen wirtschaftlich auf gesunden Beinen steht. Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Situation der Alpine in den Verhandlungen 2009 und 2010 sehr viel besser dargestellt wurde, als sie tatsächlich war. Im Interesse der Steuerzahler wird zu klären sein, wie viel die Banken wussten.“
Der Jurist greift damit eine der sensibelsten Fragen der Alpine-Pleite auf: Haben die Gläubigerbanken gewusst, wie es um Alpine steht, und versucht, ihr Ausfallsrisiko durch Anleihen und Staatshaftungen zu reduzieren?
Einige Fakten sind unstrittig. Wie profil in den vergangenen Monaten auf Grundlage interner E-Mails und Managementdossiers berichtete, stand Alpine schon 2009 das Wasser bis zum Hals. Bereits im Herbst jenes Jahres war die Nettoverschuldung auf 550 Millionen Euro angewachsen und der Baukonzern nicht mehr in der Lage, Zahlungen fristgerecht zu leisten. Am 9. Dezember 2009 wurde die erste ULSG-Linie gezogen. Und nur wenige Monate später, im Juli 2010, warf die Alpine Holding GmbH die erste Anleihe über 100 Millionen Euro auf den Markt; bis 2012 sollten zwei weitere im Volumen von 190 Millionen Euro folgen. Aufgelegt wurden die drei Emissionen just von jenen Banken (wenn auch in wechselnder Besetzung), die zu den größten Gläubigern gehörten: Erste Bank, UniCredit Bank Austria, Raiffeisen und Bawag. In einem Gutachten des Wiener Wirtschaftsprüfers Manfred Biegler, erstellt für Anlegeranwalt Benedikt Wallner, heißt es denn auch ohne Umschweife: „Eine Unternehmensinsolvenz wäre ohne die Vergabe des ersten ULSG-Kredites … und die Begebung der ersten Anleihetranche … bereits im Laufe des Jahres 2010 eingetreten.“
Traum und Wirklichkeit
Die Öffentlichkeit erfuhr von all dem nichts. Noch im August 2012, wenige Wochen nach Platzierung der letzten Anleihe, fantasierte der damalige Geschäftsführer Johannes Dotter von „zufriedenstellenden Ergebnissen“.
Traum und Wirklichkeit: Die publizierten Jahresabschlüsse sind mittlerweile Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, steht doch unter anderem auch der Verdacht der Bilanzfälschung im Raum. Gutachter Biegler geht jedenfalls davon aus, dass die von Deloitte geprüften Bücher des Konzerns nicht annähernd die Realität abbildeten: „Die positiven Betriebsergebnisse der Alpine Bau GmbH sind ab dem Geschäftsjahr 2010 weder nachvollziehbar, noch finden sie in der massiven Nettoverschuldung Deckung oder sind in einen sinnvollen Zusammenhang zum enormen Kapitalbedarf der Gesellschaft zu bringen.“
Bieglers Resümee: Die Banken und der damalige Alpine-Eigentümer, die spanische FCC-Gruppe, hätten „in Kenntnis der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage der Alpine-Gruppe die Einwerbung von Privatanlegern dem Eingehen eigener Geschäftsrisiken“ vorgezogen.
Man kann es auch so sehen: Hätten die Investoren den gleichen Wissensstand gehabt wie FCC und die Banken, dann wäre schon die erste Anleihe 2010 unverkäuflich gewesen. So aber wurde das Risiko, das schließlich auch schlagend wurde, auf „andere Gläubigergruppen“ verteilt.
Die Banken haben bisher jede Verfehlung rundheraus in Abrede gestellt. Sie wollen von der Schieflage des Konzerns ebenso überrascht worden sein wie der Konzern selbst. „Hätten wir zum Zeitpunkt der Kreditgewährung substanzielle Zweifel gehabt, hätten wir nicht einmal 50 Prozent des Risikos auf die Bücher genommen. Das sagt einem der Hausverstand“, so Bank-Austria-Vertreter MartinHalama.
Wer hat also wann wovon gewusst?
Tatsache ist: Um an Haftungen des Staates zu kommen, mussten sich Unternehmen ab 2009 einem mehrstufigen Verfahren stellen. Erst prüfte die Oesterreichische Kontrollbank (OeKB) die Geschäftsunterlagen, ehe sie einem „Beirat“ im Finanzministerium weitergereicht wurden. Diesem Gremium gehörten zwei Vertreter des Ministeriums sowie jeweils ein Repräsentant des Bundeskanzleramtes, des Wirtschaftsressorts, der Nationalbank und der OeKB selbst an. Diese war es auch, die letztlich als „Bevollmächtigte“ der Republik Österreich die Haftungen gewährte. Nur: Die Kontrollbank gehört eben nicht dem Staat, sondern vielmehr einer Handvoll Großbanken: Bank Austria, Erste Bank, Raiffeisen, Bawag und Österreichische Volksbanken – und somit wieder jenen Häusern, bei denen Alpine in der Schuld stand.
Wurden hier Unterlagen gezielt geschönt, um den Baukonzern wirtschaftlich gesünder aussehen zu lassen, als er tatsächlich war? Wenn ja, von wem? Kann es sein, dass die Haftungen erschlichen wurden? Und welche Informationen lagen der OeKB überhaupt vor?
Seitens der Kontrollbank wird wenig überraschend auf „Vertraulichkeit“ verwiesen. „Gehen Sie davon aus, dass wir Alpine gut geprüft haben“, sagt Kontrollbank-Sprecher Peter Gumpinger. Die wirtschaftlichen Probleme seien für die OeKB weder 2009 noch 2010 erkennbar gewesen.
Ironie am Rande: Mit Bawag und Raiffeisen International haben bis heute zwei der sieben klagenden Banken staatliches Partizipationskapital in den Büchern, die Österreichische Volkbanken AG musste überhaupt teilverstaatlicht werden, um dem Bankrott zu entgehen.
Von Ulla Kramar-Schmid und Michael Nikbakhsh; profil 16.11.2013