Deutscher Sachverständiger zerfetzt Expertise des Kollegen in der Luft / Neuer Prozess?

von Peter Pisa 

Der Wiener Rechtsanwalt Benedikt Wallner wird beim Präsidenten des Zivillandesgerichts Wien anregen, den Unfallchirurgen Dr. T. aus der Liste der Gerichtssachverständigen zu streichen. Diese ungewöhnliche Maßnahme hängt mit dem Schicksal eines 48-jährigen Arbeiters zusammen. Bei Verladearbeiten hatte ein Lkw dessen linken Fuß überrollt.

Dr. T. dürfte in seinem Monate danach verfassten Gutachten die am Unfalltag im Spital erstellte Diagnose „Conquassatio“ (= Quetschung) und noch andere Befunde übersehen haben. Ebenso setzte er sich über zwei andere Gerichtsgutachten hinweg, in denen eindeutig festgestellt wurde, dass der Fuß des Arbeiters Kemal Ayvaz von einem Lkw-Reifen zerquetscht worden war.

Es gibt sogar zwei gleich lautende Urteile: Mit einem war der unaufmerksame Lkw-Lenker wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft, mit dem anderen war Ayvaz eine (geringe) Unfallrente zugesprochen worden.
In einem dritten Prozess sollte nun geklärt werden, in welcher (Millionen-)Höhe die Versicherung des Lkw-Halters dem Verletzten gegenüber haftet. Selbst die beklagte Versicherung stellte außer Streit, dass der Fuß überrollt worden war.

In diesem Verfahren hätte Dr. T. Fragen beantworten sollen, wie z. B.: Wo wurde der Fuß überrollt? Und: Gibt es Dauerfolgen?

Der Gutachter meinte jedoch, den Unfall unaufgefordert so rekonstruieren zu können, dass der Fuß gar nicht überrollt worden sei.

Sondern?

Herr Ayvaz müsse wohl „umgeknickt“ sein.

„Conquassatio, Fract. metatarsale (Mittelfußknöpfchenbruch), Fract. bas. phal. prox. dig. (Grundgliedbruch der Zehen), Lux. fract. (Verrenkungsbruch), Fract. os. naviculare (Kahnbeinbruch), Abrupt. oss. os. cun. mult. ang. maj. (Abrissbruch am großen Keilbein), Fract. mall. med. (Bruch des Innenknöchels) . . .“ (Diagnose des Wilhelminenspitals) - allein vom Umknicken?

Üblicherweise wird in einem solchen Fall ein weiterer Sachverständiger bestellt, um Divergenzen zu den bisherigen Beweisergebnissen aufzuklären. Ein junger Richter war mit den Ausführungen jedoch zufrieden und wies die Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche des verletzten Türken, der keine schweren Lasten mehr tragen, nicht mehr lang stehen und gehen und daher seine Familie kaum noch über Wasser halten kann, ab.
Mit so einem kurzen Urteil bekommt man einen Akt freilich schneller vom Tisch, ohne sich auf Details einlassen zu müssen.
Vielleicht ein Bumerang. Das Obergericht könnte eine Prozess-Wiederholung anordnen. Aus Deutschland kommt nämlich ein von Anwalt Wallner beauftragtes viertes Gutachten. Der Düsseldorfer Sachverständige Dr. Elmar Ludolph lässt an den „typischen Folgen eines Überrollens des Fußes durch einen Lkw-Reifen“ keinen Zweifel und zerfetzt das Gutachten des österreichischen Kollegen in der Luft:

Dr. T. habe möglicherweise irrigerweise den Befund bei der Entlassung des Verletzten aus dem Spital zugrunde gelegt. Auch habe er es verabsäumt, Operationsbefund sowie Röntgenaufnahmen vom Unfalltag beizuziehen und auszuwerten.

Das sei bei „äußerster gutachterlicher Sorgfalt“ selbstverständlich.

Zusammengefasst beruhe das Gutachten des Dr. T. „auf eindeutig falschen Fakten.“

„Man kann sich eine solche Verletzung, laienhaft ausgedrückt, durch Umknicken zuziehen.“

Gutachter Dr. T.

Kemal Ayvaz versteht die Welt nicht mehr: „Umgeknickt“? Als er gerade Container ablud, schob der Lkw zurück, überrollte und zerquetschte seinen linken Fuß.

Ayvaz erinnert sich: „Der Lkw fuhr zurück und dann vor, ich schrie“

Quelle: Sonntag, 28.01.2001, (KURIER | Seite 13)