Alpine-Pleite: Gutachter stieß auf Ungereimtheiten in Jahresabschlüssen
Der Fall Alpine: Ein Gutachten nährt einen schwerwiegenden Verdacht. Die Bücher des Baukonzerns könnten fingiert gewesen sein.
Es ist eines der zentralen Themen jedes Konkursverfahrens – und doch lässt es sich nicht immer zweifelsfrei abhandeln: Wann war die Zahlungsunfähigkeit erkennbar? Im Fall des insolventen Salzburger Baukonzerns Alpine ist die Beantwortung
dieser Frage umso dringlicher, als Millionen auf dem Spiel stehen. Sollte die Pleite des Unternehmens tatsächlich verschleppt worden sein, könnten Inhaber von Alpine-Anleihen Schadenersatz geltend machen. profil hat in den vergangenen Wochen anhand interner Dokumente nachgewiesen, dass die Alpine Bau GmbH und mit ihr die übergeordnete Alpine Holding GmbH bereits seit 2009 mit existenziellen Problemen kämpften. Den Investoren wurde das aber rundheraus verheimlicht. Wie ausführlich berichtet, hatte die Alpine Holding zwischen 2010 und 2012 drei Anleihen im Volumen von 290 Millionen Euro nach Luxemburger Recht platziert, tausende Kleinanleger griffen beherzt zu. Organisiert wurden die drei Emissionen ausgerechnet von jenen Banken (wenn auch in wechselnder Besetzung), die zugleich die größten Gläubiger der Alpine
waren: Erste Bank, UniCredit Bank Austria, Raiffeisen, Bawag PSK.
Wann also war die Zahlungsunfähigkeit der Alpine erkennbar? Und für wen?
Diesem Magazin liegt jetzt ein von der Wiener Wirtschaftsprüfungsgesellschaft 7tc erstelltes Gutachten vor, das nicht ohne Folgen bleiben kann. Der Sachverständige Manfred Biegler hat im Auftrag des Wiener Anlegeranwalts Benedikt Wallner die veröffentlichten Alpine-Jahresabschlüsse mit internen Unterlagen (die teils auch von profil zur Verfügung gestellt wurden) abgeglichen. Bieglers Resümee wiegt schwer: Der Patient Alpine Bau war spätestens 2010 klinisch tot und musste künstlich beatmet werden – zum einen über die drei Anleihen, zum anderen über staatlich besicherte Bankkredite aus dem ULSG-Programm („Unternehmensliquiditätsstärkungsgesetz“) in der Höhe von insgesamt 360 Millionen Euro, wobei der Staat nun vertragsgemäß für die Hälfte (also 180 Millionen Euro) geradestehen muss. „Eine Unternehmensinsolvenz wäre ohne die Vergabe des ersten ULSG-Kredites über EUR 200 Mio. und die Begebung der ersten Anleihetranche über EUR 100 Mio. im Juli 2010 bereits im Laufe des Jahres 2010 eingetreten, wobei unseres Erachtens die Liquiditätsspielräume bereits bis 2009 in einem Ausmaß ausgereizt wurden, dass etwa die Aufrechterhaltung des operativen Geschäftsbetriebs in der Alpine Bau GmbH nur über die (kaum zu erwartende) Erschließung innerkonzernaler (FCC) oder anderer externer Finanzierungsquellen (Banken) gelingen hätte können.“
Biegler – er war bereits in Causen wie AMIS, Meinl und Immofinanz tätig – äußert darüber hinaus Zweifel an der Plausibilität der vorliegenden Jahresabschlüsse: „Die Größenordnung der Verschuldungssituation und des exorbitanten Finanzmittelverbrauchs der Alpine Bau GmbH stand während der gesamten Zeitdauer 2009 bis 2011 in keinem Verhältnis zur bilanziellen Aufwands-, Ertrags- und Vermögensdarstellung in den Jahresabschlüssen der Alpine Bau GmbH.“
Mit anderen Worten: Die der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Geschäftszahlen könnten fingiert gewesen sein, wobei der Gutachter vor allem die „Vermögensbewertung“ sowie die „Gewinn/Verlustrealisation“ der Jahre 2010 und 2011 in Frage stellt. „Die positiven Betriebsergebnisse der Alpine Bau GmbH sind ab dem Geschäftsjahr 2010 weder nachvollziehbar noch finden sie in der massiven Nettoverschuldung Deckung oder sind in einen sinnvollen Zusammenhang zum enormen Kapitalbedarf der Gesellschaft zu bringen.“
2010 war bekanntlich das Jahr der ersten Anleiheemission durch die Holding. Wie profil vergangene Woche unter Berufung auf interne Mails berichtete, könnten die Kennzahlen des Konzerns im Hinblick auf die Platzierung der Schuldtitel tatsächlich „geschönt“ worden sein. Was wussten die Gläubigerbanken? Und wann?
Die Kreditgeber wollen überhaupt erst im Herbst 2012 von der desaströsen Situation erfahren haben. Sehr glaubwürdig ist das nicht. Laut Gutachten hätten die Banken und FCC „in Kenntnis der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage der Alpine-Gruppe die Einwerbung von Privatanlegern dem Eingehen eigener Geschäftsrisiken unter Inkaufnahme einer latenten Informationsasymmetrie gegenüber den Anleihegläubigern“ vorgezogen.
Man kann das auch umdrehen: Hätten die Investoren den gleichen Wissensstand gehabt wie der spanische Eigentümer FCC und die Banken, dann wäre schon die erste Anleihe 2010 unverkäuflich gewesen. So aber wurde das Risiko, das schließlich auch schlagend wurde, auf „andere Gläubigergruppen“ verteilt.
Anwalt Benedikt Wallner (www.wienrecht.at/alpine-pleite) sieht in dem Gutachten eine Vermutung bestätigt: „Die Prospektwahrheit in Zusammenhang mit den drei Anleiheemissionen war nicht gegeben.“ Er ist einer von mehreren Juristen, die jetzt im Namen verprellter Anleger vorgehen wollen. Der Kreis der möglichen Haftungsadressaten ist groß: das frühere Management, der Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer Deloitte, die involvierten Banken, auch die Luxemburger Finanzaufsicht CSSF, welche die Prospekte der drei Anleihen geprüft und gebilligt hatte. „Wir haben hier noch keine Entscheidung getroffen“, so Wallner. „Je mehr Anleger zusammenkommen, desto größer sind die Chancen auf Ersatz.“
Quelle: Michael Nikbakhsh, profil, 3.8.2013, 08:47