Rücktrittsbelehrung beim Kreditvertrag: EuGH C-66/19

Das EuGH-Urteil C-66/19 VbR 2020/61 hat v. a. in D Wellen geschlagen: Darlehen im Volumen von bis zu 1,5 Bio EUR seien betroffen. Die erfolgreiche Klägerkanzlei nennt auf ihrer Website ein griffiges Beispiel: „Gesparte Vorfälligkeitsentschädigung € 39.660“. Aber just die hat wegen § 16 VKrG in Ö keine konfiskatorische Wirkung. Immobilienbesitzer könnten vorzeitig aus einem teuren Baukredit aussteigen. Aber in Ö gewährt erst § 5 Abs 1 Z 1 HIKrG seit 2016 für pfandrechtlich besicherte Verbraucherkreditverträge ein – noch dazu unhandliches – Rücktrittsrecht. Stein des Anstoßes in Luxemburg war der in den dt Belehrungen enthaltene Kaskadenverweis auf Gesetzesbestimmungen, aber der findet sich so in Ö nicht. Wer also könnte hierzulande vom Rücktritt profitieren?

 

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Antwort: alle, die sich von ungeliebten Verbraucherkrediten mit fehlerhafter Rücktrittsbelehrung, die ab dem 11.6.2010 (bei hypothekarischer Besicherung: ab 1.1.2016) abgeschlossen wurden, befreien wollen. Das würde, wenn es zu diesem späten Zeitpunkt noch neue gäbe, insb auf Fremdwährungskredite zutreffen. Die Wechselkursentwicklung müssten Verbraucher dann iaR nicht mitmachen: Das obiter dictum in 7 Ob 110/16a (4.1.) ist immer dann, wenn ein FWK in Euro ausgereicht und lediglich als Finanzierungsmodalität – neben dem obligaten Alternativangebot in Euro – in CHF oder JPY konvertiert wurde, so wenig erhellend wie Z 75 Abs 1 ABB: Nach der Urkundenlage schuldet der Kunde Euro.

Da der Widerruf ex tunc wirkt, ist auch die Bearbeitungsgebühr zu refundieren (§ 12 Abs 3 VKrG), zumal schon die vorzeitige Rückzahlung „sämtliche dem Verbraucher auferlegten Kosten“ umfasst (EuGH C‑383/18 VbR 2019/115, Rn 36). Allerdings ist nach dem erklärten Widerruf Eile geboten: Er setzt eine 30-Tage-Frist in Gang. Bis dahin muss also schon die Umschuldung stehen.

Beim verbundenen Waren- oder Autokredit und bei bestimmten Leasingarten (§ 26 Abs 3 VKrG) ist es einfacher: Binnen einer Woche nach Rücktritt vom Kreditvertrag können Verbraucher auch vom Vertrag über die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zurücktreten (§ 13 Abs 4 VKrG). Wer sich aus irgendwelchen Gründen von seinem Auto trennen will, bspw wenn das Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen ist, kann dafür die fehlerhafte Widerrufsbelehrung heranziehen und bekommt nach Rücktritt die gezahlten Raten und die Anzahlung erstattet gegen Rückgabe des Fahrzeuges. Allerdings muss man sich ein Benützungsentgelt für die Nutzung des Fahrzeugs anrechnen lassen, sodass sich so ein Vorgehen nicht mehr empfiehlt für Autos mit hoher Laufleistung.

Aber darf man denn, wie die Deutschen es nennen, den Widerruf wie eine „Jokerkarte“ ziehen oder wäre das rechtsmissbräuchlich?

Wenn Art 10 Abs 2 RL 2008/48 verlangt, im Kreditvertrag in klarer, prägnanter Form die Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts anzugeben, dann bedeutet z. B. ein Kaskadenverweis, bei dem sich also der Verbraucher erst mit einer Vielzahl nationaler Bestimmungen in verschiedenen Gesetzeswerken beschäftigen muss (C-66/19, Rn 42), dass diese Angaben als solche eben nicht im Vertrag enthalten sind. Und weil es für die Ausübung der Rechte des Verbrauchers, zu denen sein Widerrufsrecht zählt, erforderlich ist, dass der Verbraucher diese Punkte kennt und gut versteht (Rn 45), erhält er eine „Notstopptaste“ (Graf, VbR 2018, 132 [135]), falls dieser Anordnung nicht entsprochen wäre. Drückt er die, braucht es weiter nichts für die Rechtsfolge der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung (Graf, aaO mwN), insb keine Rechtfertigung: Rechtsausübung ist idR nicht sittenwidrig (RIS-Justiz RS0026271), solange nicht weitere Aspekte hinzutreten (wie etwa in 7 Ob 133/18m VbR 2019/40 das venire contra factum proprium). Schon wenn ein berechtigtes Interesse auch nur mitbestimmend sein kann, liegt Schikane nicht vor (5 Ob 793/81).

Auch die Rechtsfolge missglückter Aufklärung, ein „ewiges Rücktrittsrecht“, war seit der Rs Heininger vorhersehbar bzw. kohärent: Das Recht selbst währt zwar keineswegs ewig, wird aber von dem, dem das unionsrechtlich obläge (EuGH C-355/18 bis C-357/18 u C-479/18 VbR 2020/23, Rn 69), nie in Gang gesetzt. Was zufolge Ungültigkeit nie zu laufen begonnen hat, kann auch nicht ablaufen; das ist mehr Mathematik als Jurisprudenz. Der Unternehmer hätte es in der Hand, die Frist durch Aushändigung einer gesetzeskonformen Rücktrittsbelehrung jederzeit in Gang zu setzen (Graf, VbR 2020/33, 56). Dass unrichtige, unvollständige oder gar mit unzulässigen Bedingungen garnierte Rücktrittsbelehrungen so zu werten sind, als wäre überhaupt keine gegeben worden, folgt aus der formalen Konstruktion der meisten Rücktrittsrechte, nach der es unerheblich ist, ob eine falsche und unvollständige Rücktrittsbelehrung auf das Verhalten des Verbrauchers tatsächlich eine Auswirkung hat oder nicht (Mayrhofer/Tangl in Klang3§ 3 KSchG Rz 68). Das tatsächliche Vorliegen einer Überrumpelungsgefahr ist, anders als bei Irrtum, Zwang etc, beim „typisierten Willensmangel“ der Rücktrittsrechte eben nicht Tatbestandsmerkmal (Mayrhofer/Tangl,aaO Rz 4), genauso wenig wie bei einer Stopptafel oder roten Ampel das tatsächliche Vorliegen von Querverkehr. Die klare Anordnung verbietet es, entgegen der vom Gesetz vorgenommenen Typisierung auf eine allfällige Ungleichgewichtslage im Einzelfall abzustellen (4 Ob 521/84 mwN). Warum ordnet das Gesetz das an? Damit nicht Einzelfallgerechtigkeit über Rechtssicherheit siege (7 Ob 515/82 mwN).

Dieses bewährte Konzept formalisierter Typizität wurde zwar mit 7 Ob 4/20v VbR 2020/44 und 7 Ob 6/20p VbR 2020/68 einmal verlassen, nachdem der EuGH – Lebensversicherungsrücktritte waren schon immer ein wenig anders – über eine falsche Rücktrittsbelehrung inhaltlich geurteilt hatte, es komme darauf an, ob der VN sein Rücktrittsrecht iW unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung ausüben könne (EuGH C-355/18 bis C-357/18 u C-479/18, Rn 79 f): Wenn der VR falsch belehre, der VN könne nur schriftlich zurücktreten, müsse der VN ihm das ja nicht glauben (arg: Wenn die Ampel rot zeigt, aber grad eh nichts kommt, kann man ruhig losfahren). Und außerdem, korrigiert der OGH den Gesetzgeber, der keine vorgesehen hatte, sei so eine Schriftform ja wirklich praktisch (jeweils 4.3).

Insofern diametral entgegen gesetzt hält aber die spätere E C-66/19 nun im Kreditvertragsrecht wieder an der formalen Konstruktion der Rücktrittsrechte fest. Der EuGH gibt das Merkmal der Typizität daher keineswegs auf.

Quelle: Benedikt Wallner, Wallner Jorthan Rechtsanwälte, Zeitschrift für Verbraucherrecht (VbR 2020/73), Heft 3 / 2020, Seite 118, 29.05.2020