Frau wurde ohnmächtig, als ihr 15 Kilo schwerer Deckel auf den Kopf fiel: Produzent verurteilt

Ricardo Peyerl, Peter Pisa 

Mindestens 50.000 Österreicher sollten gewarnt sein. In ihrem Bett schlummert eine Gefahr; und wenn es in der Familie kleine Kinder gibt, sogar Lebensgefahr. Um sie zu wecken, muss man gar nicht tolpatschig sein. Man braucht nur, mit der Funktion der Bettzeuglade noch nicht vertraut, zum ersten Mal Polster und Tuchent verstauen beziehungsweise herausziehen. Ein unbeabsichtigter Schubser gegen die auf Rollen geführte Lade reicht schon aus, dass die etwa 15 Kilo schwere Klappe von selbst herunterkracht. Einer Wienerin ist das passiert. Als ihr Mann nach Hause kam, lag die Frau bewusstlos neben der am Vortag gelieferten Doppelbettbank. Sie hatte nach der ersten Nacht im neuen Bett die Lade herausgezogen, den Deckel aufgeklappt, in einem Winkel von etwas mehr als 90 Grad hinten an der Polsterung angelehnt, das Bettzeug hineingelegt (man braucht dazu beide Hände) und ausgebreitet. Dabei muss die nicht arretierbare Lade ein Stück zurückgerollt sein. Der durch keine Feder oder sonstige Konstruktion abgestützte Deckel neigte sich und fiel der Frau mit voller Wucht auf den Kopf: Gehirnerschütterung, Schädelprellung, Krankenhaus, Klage auf Entschädigung gegen den Produzenten.

Erste Reaktion des Betten-Erzeugers: Befüllung und Entleerung der Bettzeuglade seien "gefahrlos möglich", weil sich der Deckel "in einer leicht nach rückwärts geneigten Lage" selbst stabilisiere. Trotzdem wurden an der Lade nachträglich ein Pickerl mit der Aufschrift "Bei Bettzeugraumbenützung den Deckel mit einer Hand sichern!" sowie eine ausklappbare Stützleiste angebracht. Dem Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen für Möbel zu Folge kann diese Leiste durch das Gewicht der Klappe allerdings leicht aus ihrer Verankerung gleiten und ist daher gegen unbeabsichtigtes Zufallen nicht wirksam. Zweite Reaktion des Produzenten: Spott und Hohn für die Verletzte. "Schon mit geringem intellektuellem Aufwand kann die Funktion des zurückklappbaren Deckels begriffen werden." Einen Federspanner oder Arretierungshebel (wie er in vielen aufklappbaren Bettbänken vorhanden ist, Anm.) habe man deshalb nicht eingebaut, weil man dann mit Ansprüchen "allzu ungeschickter Verbraucher" konfrontiert sei, die sich die Finger einquetschen bzw. durch das überraschende Aufschnappen "Kinnhaken" einstecken müssen. Die verletzte Konsumentin machte, Rechtsanwalt Benedikt Wallner zur Seite, Produkthaftung geltend; und vor dem Handelsgericht Wien war es schließlich der Möbel-Erzeuger, der eine "auf den Deckel" bekam. Die Bettzeuglade beinhaltet eine "schlummernde Gefährlichkeit" (aus dem Urteil), vor der die Kundin nicht gewarnt worden ist. Sie brauchte nicht damit rechnen, dass ihr der Deckel auf den Kopf fallen könnte. Der Produzent muss 53.000 Schilling Schmerzensgeld zahlen, außerdem tauschte er das Bett gegen ein anderes Modell aus. Nach eigenen Angaben wurden 50.000 Betten mit der nun gerichtlich als gefährlich eingestuften Konstruktion ausgeliefert. Die Firma war jedoch zu keiner Stellungnahme bereit, ob man die Bettzeugladen nachträglich mit Sicherheitsvorkehrungen ausrüsten oder die Kunden zumindest auf die Gefahr aufmerksam machen werde (siehe auch Kasten). 

Quelle: KURIER | 27.9.1999 Seite 13