Mieter kann nicht gekündigt werden, nur weil Stromrechnung niedrig ist

von Ricardo Peyerl 

Man wird den burgenländischen Notarzt, der in einer Wiener 80-Quadratmeter-Wohnung sitzt und läppische 260 Zins zahlt, nicht los. Andere Pendler auch nicht. Zumindest nicht damit, dass ihre Stromrechnung zu niedrig ist.
Welchen Stromverbrauch der Hauptmieter hat, ist für die Beurteilung seines „dringenden Wohnbedürfnisses“ ohne Bedeutung: So lautet ein von Anwalt Benedikt Wallner erkämpftes rechtskräftiges Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen.

Am Wochenende fährt Dr. Hans B. heim in sein Haus, zu seiner Familie. Unter der Woche arbeitet er bei der Wiener Rettung im Schichtdienst. Zwei Nächte pro Woche schläft er in der Hauptmietwohnung. Die ist spartanisch eingerichtet, „mit heruntergekommenen Möbeln aus den 60er Jahren“, wie sich die Vermieterin mokiert.
Offenbar ist sie auf einen höheren Zins aus, jedenfalls wurde dem Arzt aufgekündigt. Er habe seinen Lebensmittelpunkt im Burgenland, so argumentierte die Hausherrin. Die Wohnung benutze er bloß als billige Absteige. Zum Beweis beschaffte sie sich den Energieverbrauch des Mieters, nur 654 Kilowattstunden Strom am Tag und 285 in der Nacht und gar kein Gasverbrauch während eines Zeitraumes von neun Monaten, das widerspräche jeder Lebenserfahrung.

Fernseher hat er auch keinen. Und keine Waschmaschine. Und er kocht nicht.

KEINE ABSTEIGE

Das lässt sich für das Gericht alles mit der Lebensweise eines Pendlers, der Schichtdienste versieht, „in Einklang bringen“: Die schmutzige Wäsche nimmt er am Wochenende mit heim, verköstigt wird er bei der Rettung, und dass er zwischen den 24-Stunden-Einsätzen in der Wohnung nur schläft, macht sie noch nicht zum Absteigquartier.

Anders liegt der Fall, wenn jemand in der Wohnung z. B. nur ungestört arbeiten will oder sie als Lagerplatz benützt, sein Wohnbedürfnis aber anderswo befriedigt. Das Behalten der Wohnung für später, vielleicht für Nachkommen, ist widerrechtlich.

Der Arzt hat aber nur diese Bleibe in Wien. Ein Lebensmittelpunkt liegt dort, wo er seinen Beruf ausübt, auch wenn er nicht kocht und fernsieht. Die tägliche Fahrt vom und ins Burgenland wäre, so steht im Urteil (39R284/02g), unzumutbar. Deshalb „verzichten zahlreiche Wochenpendler auf die Annehmlichkeit des Familienlebens in ihrem Heim“.

Quelle: KURIER | 25.01.2003 | Seite 12