Der Niedergang des Baukonzerns Alpine hat vorerst keine strafrechtlichen Konsequenzen. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen zahlreiche Beschuldigte eingestellt. Sie stützt sich dabei auf ein Gutachten. Und das sieht die Verantwortung für die Pleite – bei profil.
Es war einmal ein österreichisches Bauunternehmen. International etabliert, mehr als 15.000 Mitarbeiter weltweit. Man baute gerne groß und hoch und tief. Straßen, Brücken, Tunnel, Eisen- und U-Bahnanlagen, Kraftwerke, Stadien, Konzerthallen. Das Geschäft lief, wenn auch nicht annähernd so klaglos, wie es laufen hätte können. Große Projekte bedingen halt immer wieder auch große Probleme – und am Bau wird sowieso schnell ums Geld gestritten. Die Schulden waren hoch, die Liquidität stets knapp; aber dank des großzügigen spanischen Eigentümers war Ende eines jeden Geschäftsjahres alles wieder gut.
Und dann brauchte es gerade einmal einen Artikel auf der Website eines Nachrichtenmagazins, um einen der größten Baukonzerne Mitteleuropas krachend auseinanderfallen zu lassen und nichts weniger als die größte Pleite der österreichischen Wirtschaftsgeschichte einzuleiten.
Seltsam? Aber so steht es geschrieben. profil hat den Salzburger Baukonzern Alpine versenkt – auf Grundlage eines einzigen, am 10. Oktober 2012 veröffentlichten Online-Berichts […]. Diese Feststellung klingt zunächst einmal so absurd, dass sie keiner weiteren ernsthaften Auseinandersetzung bedürfte.
Es gibt aber tatsächlich einen Mann, der das zu glauben scheint. Sein Name ist Gerd Konezny, er ist gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, gelernter Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und arbeitet in Wien. Ein Fachmann also. Konezny war für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Fall Alpine als Gutachter tätig. Er sollte mehrere zentrale Fragen klären – und von seiner Expertise hing es letztlich ab, ob der Zusammenbruch des Baukonzerns im Juni 2013 ein strafrechtliches Nachspiel haben würde oder nicht. Die Antwort ist (vorerst) nein. Eine Anklage wird es zumindest nach dem Willen der WKStA nicht geben.
Die Staatsanwaltschaft hat ihre seit 2013 laufenden Ermittlungen gegen zuletzt 39 Beschuldigte vor einigen Wochen eingestellt; viele österreichische Manager, die Eigentümervertreter des spanischen Aktionärs FCC und reihenweise Ex-Aufsichtsräte wie etwa Benita Ferrero-Waldner, Außenministerin a. D. Alfred Gusenbauer, auch er einst ein Aufsichtsrat, war indes nie verdächtig.
Gegen keinen der früheren Alpine-Machthaber konnte ein Tatverdacht (Betrug, Insolvenzverschleppung, Bilanzfälschung) fundiert werden. Und das hat wiederum mit Konezny zu tun. Der Sachverständige lieferte der Behörde 2017 drei Teilgutachten, die sich im Wesentlichen so zusammenfassen lassen. Erstens: Die Bücher des Konzerns waren stets korrekt geführt, die Risiken aus Großprojekten im Ausland angemessen abgebildet. Zweitens: Das Unternehmen war zwar immer wieder knapp bei Kasse – aufgrund der nahezu unbeschränkten Finanzierungsbereitschaft des spanischen Eigentümers FCC blieb Alpine dennoch fortwährend flüssig. Zumindest bis zum 18. Juni 2013. Erst an diesem Tag trat laut Konezny die Zahlungsunfähigkeit der damals mit deutlich mehr als zwei Milliarden Euro verschuldeten Salzburger Alpine Bau GmbH ein (die übergeordnete Holding kollabierte wenige Tage später, dort waren mehr als 600 Millionen Euro an Verbindlichkeiten aufgelaufen). Tatsächlich stellte die Alpine-Geschäftsführung den ersten von zwei Insolvenzanträgen am 19. Juni 2013 – also tags darauf. Von einer vermuteten Insolvenzverschleppung kann also laut Gutachter keine Rede sein.
Aber wenn dort eh alles so weit im Lot war – warum existiert der Baukonzern Alpine dann nicht mehr? Warum haben mehrere Tausend Investoren im Lande und darüber hinaus 290 Millionen Euro verbrannt, weil sie von ihren Hausbanken vermeintlich sichere Alpine-Anleihen angedient bekommen hatten? Warum hat die Arbeiterkammer im Namen Geschädigter gegen einige dieser Banken Schadenersatzklagen angestrengt? Warum streiten umgekehrt mehrere Banken mit der Republik Österreich um einen Haftungsbetrag von mehr als 150 Millionen Euro? Warum prozessiert Clemens Richter, einer der Alpine-Masseverwalter, gegen den langjährigen Wirtschaftsprüfer Deloitte und die spanische FCC, wobei der Streitwert hier bei zusammengerechnet 250 Millionen Euro liegt?
Die Antwort liefert wiederum der Sachverständige Konezny in einem Teilgutachten. Und das führt zu profil.
Was war passiert? Im Juli 2012 – ein Jahr vor der Pleite hatte das Alpine-Management die Beratungsgesellschaft KMPG mit einer Durchsicht der Bücher beauftragt. Heraus kam eine ernüchternde Analyse, die profil Anfang Oktober zugespielt wurde. Am 10. Oktober 2012 stellten wir die wichtigsten Feststellungen von KPMG online – sie widersprachen den damaligen Veröffentlichungen des Alpine-Managements fundamental.
Die KPMG-Prüfer rechneten für 2012 unter anderem mit Wertberichtigungen in einer Höhe von 300 bis 400 Millionen Euro und einem deutlich negativen Eigenkapital. "Als Ursache werden falsch abgerechnete und gefährdete Projekte respektive nicht werthaltige Beteiligungen genannt", schrieben wir damals. Für die Anleiheinhaber war all das völlig neu.
Geht es nach dem Sachverständigen der Staatsanwaltschaft dann traten die von KPMG prognostizierten Verluste 2012 überhaupt nur deshalb ein, weil profil aus der internen Analyse zitiert hatte. „Die wirtschaftliche Lage verschärfte sich nach Veröffentlichung der Ergebnisse des KPMG-Reports am 10.10.2012 auf Profil online. Die dadurch ausgelösten Unsicherheiten führten zur Zurückhaltung von Auftraggebern sowie Lieferanten und hatten damit Auswirkungen auf die Liquidität wegen des veränderten Zahlungsverhaltens von Kunden und Lieferanten sowie auf das Vergabe- und Anzahlungsverhalten bei Neuaufträgen. Wegen der Konzentration des Managements auf die Sicherung der Liquidität litten die Bauprojektbetreuung, die Vertragsverhandlungen sowie die Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Auftraggebern“, heißt es im Gutachten. Und weil dann auch noch „viele Lieferanten nur mehr gegen Vorauszahlungen leisteten“ und sich obendrein reihenweise „wesentliche Mitarbeiter“ verabschiedeten und mit ihnen „Know how“ verloren ging, standen am Ende des Jahres 2012 „eine erhöhte Wertberichtigung und eine erhöhte Bilanzierung der Rückstellungen“ zu Buche. Ab da kam Alpine nicht mehr hoch, acht Monate später war Schluss.
Koneznys Schlussfolgerungen stehen in Widerspruch zu den Erkenntnissen des Sachverständigen Josef Schima. Dieser hatte im Insolvenzverfahren der Alpine Bau für das Gericht ein Gutachten erstellt und darin aufgezeigt, dass Alpine lange vor der Pleite erheblichen Wertberichtigungsbedarf aus Großbaustellen mit sich herumschleppte. Als der Konzern 2013 kippte, erklärte auch das damalige Management die Insolvenz mit schlagend gewordenen Verlusten aus „Vorperioden“ – dass profil diese Verluste ausgelöst hätte, davon war im Insolvenzantrag natürlich keine Rede. Wie denn auch.
Bemerkenswert: Der Sachverständige Konezny führte mit Zeugen und zumindest einem Beschuldigten „informelle Befragungen“ durch (also ohne Beisein eines Staatsanwalts). Das ist rechtlich zwar gedeckt, aber reichlich unüblich.
Man könnte auch die Frage stellen: Kein profil-Artikel, kein Alpine-Kollaps? Wir fragten nach bei Gerd Konezny selbst. Dieser wollte sich mit Hinweis auf seine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht nicht zu seiner Arbeit äußern. Was sagt Clemens Richter dazu, der Masseverwalter der Alpine Holding GmbH? „Dass nun profil schuld sein soll, das ist nicht nur absurd, das ist eigentlich schon krank. Da wird einem Medium Verantwortung zugeschoben, das nichts anderes getan hat, als jahrelang verdeckte Missstände aufzuzeigen.“ Für Richter (und einige andere in die zahlreichen Verfahren involvierte Personen) war der Konzern spätestens Ende 2010 zahlungsunfähig – und konnte nur mittels kreativer Buchführung, staatlich garantierter Bankkredite und vor allem dank der Zuflüsse aus den Anleihen am Leben erhalten werden.
Richter drängt auf eine Fortführung des Ermittlungsverfahrens, mit ihm eine Reihe von Anlegeranwälten. Benedikt Wallner ist einer von ihnen, er führt mit Unterstützung der Arbeiterkammer auch ein Zivilverfahren gegen mehrere Banken. „Ich kann kaum eine der Feststellungen des Gutachters Konezny nachvollziehen“, sagt Wallner. „Es ist schon erstaunlich, dass kein einziger Verdacht so weit erhärtet wurde, dass das Verfahren fortzusetzen wäre. Aber dass profil jetzt für das Desaster verantwortlich gemacht wird, das ist schon ein starkes Stück.“
Die Entscheidung darüber, ob das Verfahren der WKStA fortgeführt werden muss, liegt nun beim Landesgericht Wien. Und das fünf Jahre nach der Pleite. Zeit spielt im österreichischen Strafverfolgungsbetrieb bekanntermaßen keine Rolle. Und das Justizministerium sollte sich alsbald einmal die Frage stellen, ob Sachverständigen in rechtsstaatlichen Verfahren mittlerweile nicht zu viel Einfluss zukommt.
Quelle: profil 44, 29.10.2018, Michael Nikbakhsh