Das Handelsgericht Wien gab zwei Klägern recht, die eine Schiffs-Beteiligung erworben hatten
Wien - Zu den deutschen Schiffsfonds, mit denen rund 10.000 heimische Anleger hunderte Millionen Euro verloren haben, liegt nun ein erstes Urteil in Österreich vor. Das Handelsgericht (HG) Wien gab zwei Klägern recht, die über die Erste Bank eine Beteiligung namens HCI Shipping Select 26 erworben hatten. Der Bankberater hat seine Kunden demnach nicht auf die zahlreichen Risiken der Veranlagung hingewiesen und dadurch seine Sorgfaltspflicht verletzt. Das Geldhaus muss zahlen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Erste Bank will in Berufung gehen und spricht von einem "komplexen Einzelfall".
Die Anleger hatten ihre Ersparnisse in Höhe von 480.000 Euro ursprünglich bei der Sparkasse deponiert. Bis Anfang 2008 verloren diese an Wert, der Berater empfahl den Klägern, zur Erste Bank zu wechseln. Von den verbliebenen 400.000 Euro sollten 350.000 Euro 100 Prozent kapitalgesichert investiert werden, 50.000 Euro risiko- und ertragreicher. Der kleinere Betrag ging in OMV- und Flughafen-Wien-Aktien, zum Werterhalt hat der Bankberater den HCI-Fonds empfohlen. Er hat ihnen erklärt, bei einer Schiffsbeteiligung könne nichts passieren, da das Risiko auf acht Schiffe verteilt sei und diese außerdem versichert seien. Vier der acht Schiffe seien langfristig verchartert, bei den anderen handle es sich um doppelwandige Tankschiffe, sie stark nachgefragt würden. Schlimmstenfalls gebe es weniger Ertrag, so der Bankmitarbeiter laut Darstellung der Kläger.
Weitere Risikofaktoren
Weitere Risikofaktoren seien nicht erörtert worden. Derer gab es so einige: Es handelte sich bei dem Investment um eine Kommanditbeteiligung, es bestand ein Totalverlustrisiko, die Abhängigkeit vom Dollarkurs, eine mögliche Nachschusspflicht oder die Volatilität künftiger Charterraten. Auch über die sogenannte Loan-to-value-Klausel über die Besicherung der Schiffe habe es keine Informationen gegeben. Die Schiffe waren mit Hypotheken belastet; sollte der Wert eines Schiffs fallen und es zur Besicherung nicht mehr ausreichen, müssten die Anleger Geld nachschießen. Den Anlegern war auch nicht bewusst, dass sie de facto keine Möglichkeiten hatten, vor 2020 auszusteigen, ebenso wenig, dass 10,6 Prozent des Anlagekapitals nicht in die Schiffe flossen, sondern in Gründungs- und Emissionskosten aufgingen. Der Kapitalmarktprospekt sei ihnen nie ausgehändigt worden, lediglich eine detaillierte Verkaufsbroschüre, die aber nicht auf alle Risiken hinwies.
Im Jahr 2009 zogen dann erste dunkle Wolken auf. Die Kläger wurden darüber informiert, dass es zu Preisminderungen kam, weil Schiffstanker zu spät fertiggestellt wurden. Im Laufe des Jahres 2010 erfuhren sie, dass keine Auszahlungen stattfinden. Der Bankberater habe sie jedoch stets beschwichtigt und auf momentane Schwierigkeiten verwiesen. Ende 2011 hieß es dann, das Finanzierungskonzept sei gefährdet. Im Februar 2012 schließlich die Hiobsbotschaft: Es sei das Insolvenzverfahren angemeldet worden, daher dräue der Totalverlust.
Zwischenzeitlich ist klar, dass es bei vier Produkt- und Chemikalientankern tatsächlich zu einem Totalverlust kommen wird. Bei vier Plattformversorgungsschiffen steht noch nicht fest, ob die Anleger ihr Geld wiedersehen werden.
Kläger mit Anlegererfahrung
Die Erste Bank sah das freilich anders und verwies im Verfahren auf die Anlegererfahrung der Kläger - zwei Unternehmer. Der Berater habe ihnen sehr wohl erklärt, dass es sich bei der HCI nicht um ein Wertpapier, sondern um eine Kommanditgesellschaft handelte. Sie hätten einen Informationsprospekt und auch den Kapitalmarktprospekt erhalten. In letzterem seien die Risiken, darunter das der Fremdfinanzierung und der Schiffshypotheken, ausführlich dargestellt gewesen. Die Bank war außerdem der Meinung, dass das Klagebegehren schon verjährt war.
Damit konnte sich das Geldhaus bei HG-Richter Heinz-Ludwig Majer nicht durchsetzen. Die Erste Bank hätte die beiden Anleger "umfassend" über die Risiken der Veranlagung informieren müssen. "Eine ihrer zentralen Pflichten wäre es ... gewesen, auf das ... Verlustrisiko und die spekulative Natur der Anlage sowie auf die mangelnde Handelbarkeit hinzuweisen. Dies wurde unterlassen", stellte der Richter fest. "Es handelt sich dabei um eine Sorgfaltswidrigkeit, die einem sorgfältigen Bankkaufmann keinesfalls unterlaufen würde."
Da der Schaden noch nicht endgültig beziffert werden kann, wandte das Handelsgericht eine Art Kunstgriff an: 55 Prozent der Investitionssumme - diese entfallen auf die bereits insolventen Tanker ("MT-Hellespont"-Schiffe) - wurden den Klägern sofort zugesprochen. Für die restlichen 45 Prozent verwies der Richter auf den sogenannten Feststellungsanspruch: Er stelle also bereits jetzt fest, dass die Erste Bank für den etwaigen weiteren Schaden haftet.
Möglichkeit eines Totalverlustes
Den Einwand der Bank, dass die Kläger erfahrene Anleger gewesen seien, schmetterte Richter Majer ab. Theoretisch könnte ein Mitverschulden dann in Betracht kommen, wenn sich der Kunde auf dem Anlagesektor hervorragend auskennt und ihm die Unrichtigkeit der Anlageberatung auffallen hätte müssen, wird in dem Urteil ausgeführt. Im konkreten Fall jedoch gelte das nicht, da die Kläger davor noch nie eine Kommanditbeteiligung gewinnbringend veräußert hatten oder dies versucht hätten.
"Hätten die Anleger von der Möglichkeit eines Totalverlusts gewusst, hätten sie nicht gezeichnet", so der Rechtsvertreter der Kläger, Benedikt Wallner, zur APA. Der Wiener Anwalt vertritt einige hundert Geschädigte, die - vielfach zur Vorsorge - in deutsche Schiffsfonds oder -beteiligungen (zum Beispiel HCI oder MPC) investiert hatten. Diese wurden nicht nur von der Ersten, sondern auch von anderen Großbanken, etwa Raiffeisen oder Volksbanken, in großem Stil vertrieben. Bis zu 700 Mio. Euro haben österreichische Anleger von 2004 bis 2008 via Fonds in Kühl- und Containerschiffe oder Tanker gesteckt. Dann kam die Krise und mit ihr der Zusammenbruch des Containermarkts, dem speziell in Deutschland unglaubliche Höhenflüge vorhergesagt worden waren. Mittlerweile muss fast täglich ein deutsches Schiff Insolvenz anmelden oder zum Verschrottungspreis verscherbelt werden.
Quelle: derstandard.at (APA), 14.3.2013