Die Richter machen wieder verhandlungsfrei. Anwälte beklagen, dass ihre Klienten dafür büßen müssen.
Der Staat verdient an jeder Zivilklage. Liefert er dafür ausreichend Justiz? Der KURIER sprach mit dem Präsidenten des Handelsgerichts, Peter Hadler, und dem Anwalt Hunderter geschädigter Anleger, Benedikt Wallner.
KURIER: Das Handelsgericht wird mit Klagen überflutet. Wie bewältigen Sie das?
Peter Hadler: Wir bemühen uns trotz dieses Tsunami an Klagen, die Entscheidungen in angemessener Zeit herbeizuführen. 2009 fielen bei uns knapp 6.000 Verfahren an, 2008 waren es noch 4.000. Auch wenn in einer Sammelklage 1.583 Ansprüche gebündelt werden, müssen wir jeden einzelnen Anleger und den jeweiligen Berater vernehmen. Man muss das Beratungsgespräch analysieren. Wenn man es mit drei Stunden Vernehmungszeit ansetzt, was aber nur die Flottesten schaffen, und die Arbeitsstunden pro Richter pro Jahr mit 1.720 gegenüberstellt, kommt man bei dem Fall mit 1.583 Ansprüchen auf zweieinhalb Jahre, in denen der Richter von früh bis spät nur diese Vernehmungen durchführt.
Warum müssen alle 1.583 Geschädigten befragt werden? Wozu gibt es denn dann die Sammelklage?
Hadler: Gute Frage. Aus richterlicher Sicht bringt das nicht so viel. Die Pauschalgebühren können günstiger sein. Es muss bei jedem Anleger individuell geprüft werden, ob er in die Irre geführt wurde. In Kooperation mit den Anwälten wird versucht, das gemeinsame Abarbeiten zu strukturieren. In Schlüsselverfahren werden grundsätzliche Rechtsfragen abgeklärt.
Wenn die Justiz die Leistung nicht erbringen kann, müsste sie sagen: Stopp, lieber Kunde, komm in fünf Jahren wieder.
Benedikt Wallner: Ich mache das ja. Ich habe irgendwann gesagt: Mehr schaffe ich nicht, geht wo anders hin. Die Justiz kann das nicht.
Hadler: Wir ziehen uns nicht beleidigt ins Winkerl zurück, wir tun, was wir auf unserer Ebene können: Eine Entscheidungsdatenbank für die Richter im Haus, Informationsveranstaltungen...
Wallner: Ein Staat, der seine Justiz nicht ausreichend ausstattet, würde sich zum Handlanger der Rechtsbrecher machen. Ich bin einer von jenen, der die Justiz beschäftigt, viel beschäftigt. Allein unsere Kanzlei hat um 400 Klagen mehr eingebracht als all die Jahre davor. Das muss bearbeitet werden. Dafür sind im Voraus Pauschalgebühren zu zahlen. Bei 80.000 Euro Streitwert sind das, wenn ein Ehepaar klagt, fast 3.000 Euro. Der Staat hat durch unsere Tätigkeit Mehreinnahmen. Dafür schuldet uns der Staat Justiz.
Hadler: Und auf allen Seiten besteht das Bedürfnis der baldigen Klärung. Auch für den Finanzmarkt Österreich ist das wichtig.
Wallner: Es gibt ein paar Akteure, denen ist das ganz egal, ob der Finanzplatz funktioniert, die wollen nur Gelder generieren. Meine Klienten haben kein Spielgeld, die sind darauf angewiesen, manchmal war es der Notgroschen fürs Alter. Ich kann nicht zuwarten. Die Überlastung der Justiz ist nicht Angelegenheit meiner Klienten. Wenn das so weit führt, dass sachlich nicht gerechtfertigte Maßnahmen gesetzt werden, müssen wir uns dagegen aussprechen. Zum Beispiel, wenn die Obergerichte Ansprüche, die immer bestanden haben, plötzlich als nicht mehr bestehend erkennt, um Tausende Anlegerklagen wegzubringen. Ich will niemanden auf dumme Ideen bringen, aber das ist in der Justizgeschichte schon vorgekommen.
Wie sieht die Prognose aus?
Hadler: Die Anwälte werden immer findiger, die Fantasie immer größer ...
Wallner: Wehe dem Anwalt, der nicht alles probiert.
Hadler: Es schnürt mir die Brust zu, wenn wieder ein paar Hundert Klagen hereinkommen: Wann sollen wir das abarbeiten?
Wallner: Die österreichische Ziviljustiz funktioniert hervorragend, aber sie setzt das aufs Spiel.
Quelle: KURIER / 01.04.2010 / von Ricardo Peyerl