Recht haben und Recht kriegen sind, wie inzwischen jeder weiß, zweierlei. [1]
Das muss gar nicht an der Qualität der Anwaltskanzlei liegen, die das Recht verfolgt, und auch nicht an einer – fälschlich oft als unberechenbare „Black Box“ vorgestellten – Justiz, vor der man angeblich, so wie auf hoher See, „in Gottes Hand“ sei.
Vielmehr verjähren praktisch alle Rechte, die man einmal hatte, binnen einer gewissen Zeitspanne, danach kann man sie nicht mehr geltend machen. Oft sind das drei Jahre, auch beim Schadenersatz. Aber wann fangen diese drei Jahre zu laufen an? Die Faustformel lautet, ab dem Zeitpunkt, ab dem man zum ersten Mal Klage hätte erheben können, weil man schon genug weiß, sowohl über den ein-getretenen Schaden als auch, wer ihn einem (und wodurch) zugefügt hat und wer also dafür jetzt in Anspruch zu nehmen ist – ab da hat man drei Jahre Zeit zu klagen.
Was aber gilt, wenn man während dieser drei Jahre zwar beabsichtigt, den Schädiger in Anspruch zu nehmen, dieser einen aber beschwichtigt, etwa mit den Worten „Das ist doch noch kein endgültiger Schaden“, „Das wird sich wieder erholen“ und zu erkennen gibt, dass aus seiner Sicht kein Anlass zur Klagsführung besteht? Dann wäre es unbillig und dem Prinzip von Treu und Glauben widersprechend, wenn derselbe Schädiger – der schließlich doch noch klagsweise in Anspruch genommen wird – nun auf einmal die Verjährung einwenden würde, weil es arglistig erscheinen muss, einen Kläger zuerst drei Jahre lang von der Klagsführung abzuhalten und sich danach auf „Verjährung“ zu berufen. Außerdem kann durch derartige Beschwichtigungen – aus Sicht der klagenden Partei – die Erkennbarkeit des Schadenseintritts und damit der Beginn der Verjährungsfrist hinausgeschoben werden, [2] denn wie gesagt: ohne Erkennbarkeit kein Beginn des Verjährungslaufs.
Wenn also zum Beispiel der Berater bei einem Telefonat Anfang August 2007 zur (nachmaligen) Klägerin gemeint hat, der Wert der Zertifikate sei zwar von 21 auf 18 heruntergegangen, das würde aber nur zwei oder drei Wochen dauern, der Wert würde wieder steigen; er würde sich in zwei oder drei Wochen neuerlich melden; wenn er das Sinken des Wertes so erklärt hat, dass etwas „umgeschichtet worden“ sei; wenn die Klägerin zwar zunächst über den ihr mitgeteilten Kursverlust beunruhigt war, auf die Beschwichtigung hin jedoch dem Berater vertraut hat, der Wert werde wieder steigen; wenn sie schließlich erst Anfang September 2007 erfahren hat, dass es sich bei der Veranlagung eigentlich um Aktien und keine Zertifikate handelte, dann liegen solche den Beginn der Verjährungsfrist hinaus-schiebenden Beschwichtigungen vor. [3]
Die Einrede der Verjährung verstößt immer dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn die Fristversäumnis auf ein Verhalten des Gegners zurückgeht. [4] Erforderlich ist ein Verhalten des Anspruchsgegners, durch das der Anspruchsberechtigte veranlasst wurde, seine Forderung nicht fristgerecht geltend zu machen. [5] Dabei genügt schon ein Verhalten, aufgrund dessen der Gläubiger nach objektiven Maßstäben der Auffassung sein konnte, sein Anspruch werde befriedigt oder nur mit sachlichen Einwendungen bekämpft. [6]
Wenn sogar die Mitarbeiter der beklagten Partei aufgrund ihrer eigenen Berechnung noch lange von der Erfolgsträchtigkeit der empfohlenen Finanzierungsform überzeugt waren und die Kläger weiterhin beruhigt haben, dann kann dieses „In-Sicherheit-Wiegen“ als Hemmungsgrund für die Verjährung einzustufen sein. [7]
Man sieht: Versuche insbesondere von Anlagenberatern, nach Kursverlusten nervös gewordene Anleger zu beschwichtigen, spielen in der Rechtsprechung eine häufige Rolle, aber – von krassen Fehlbeurteilungen abgesehen – nur bis zur zweiten Instanz. Denn eine solche Frage kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern ist im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. Sie wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf, mit der allein sich der Oberste Gerichtshof beschäftigen würde. [8]
Benedikt Wallner, 23.3.2016
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[1] 9 Ob 43/14k vom 29.01.2015.
[2] 6 Ob 103/08b; RIS-Justiz RS 0034951 (T 33).
[4] 8 Ob 111/70 = EvBl 1971/20 u.v.a.; RIS-Justiz RS 0014838.
[6] 1 Ob 2/93 = ZfRV 1993, 248.