Können Versicherungen so, wie sie wollen, oder müssen sie so, wie sie sollen?

Versichern beruhigt, angeblich. Oft aber führen Versicherungen zur Verunsicherung bei den Kunden, nämlich über den Leistungsumfang: Muss die Versicherung leisten, wenn etwas passiert ist, und wenn ja, wie viel? Darüber herrscht Unklarheit auf Kundenseite. So entsteht ein allgemeines Misstrauen gegenüber vollmundigen Versprechungen („Vollschutz" etc.), wenn doch in Wahrheit undurchschaubare Klauseln den Schutz weit einschränken.

Ein Mann bei guter Gesundheit bekommt in noch frühen Lebensjahren eine Erlebensversicherung angeboten mit dem Zusatz-Zuckerl „Schutz auch bei schwerer Erkrankung". Weil er den Klauselwirrwarr schon ahnt, fragt er extra noch den Vermittler, „was ist eine schwere Erkrankung?" Der erklärt ihm, „z. B. Organversagen, Krebs ... ". „Auch schwere Herzerkrankungen?", fragt unser Mann zurück. Denn in seiner Familie hat es das leider schon gegeben und er könnte ja erblich vorbelastet sein. „Auch das, selbstverständlich!", wird ihm beschieden. Also schließt er ab. Viele Jahre später folgt dann tatsächlich eine schwere Herzoperation. Das Herz wird dabei stillgelegt, abgetrennt und aus dem Körper herausgenommen. Die Versicherung zahlt – nicht.

„Erklärungen unserer Vermittler haben keine Bedeutung. Wie sich aus der Besonderen Bedingung KL41 ergibt, besteht der vereinbarte Versicherungsschutz unter anderem für Bypass-Operationen am Herzen, bei denen mittels chirurgischen Eingriffs am Herzen eine Verengung oder ein Verschluss von zwei oder mehreren Herzkranzgefäßen ... mittels Bypassimplantaten behoben wird. Wie nun aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen einschließlich des OP-Berichtes hervorgeht, wurde im vorliegenden Fall aufgrund Vorliegens einer koronaren 1-fach Gefäßerkrankung ein Einzelvenenbypass eingesetzt. Ein bedingungsgemäß vom Versicherer zu deckender Leistungsfall liegt somit nicht vor, auch wenn es sich zweifellos um eine schwere Erkrankung nach allgemeinem Sprachgebrauch handelt." Also: Dass unser Mann schwer krank war, gesteht die Versicherung zu; er ist auch keineswegs zu wenig schwer erkrankt. Nur die spezifischen Krankheiten, die in „KL41" aufgelistet stehen, hatte er nicht.

Anderes Beispiel Rechtsschutzversicherungen: Eine Anstalt findet ihre Bücher tiefrot und beschließt ganz generell, nun genug gezahlt zu haben. Ab diesem Moment werden Anfragen durch Dilation („Wir werden Ihren Fall sofort bearbeiten, sobald Sie uns nachstehende Fragen beantwortet und Ihre Antworten ausreichend mit den richtigen Urkunden belegt haben"), Obstruktion (Verweis auf Ausschlussklauseln, die aber nicht zum Fall passen und daher ganz sicher nicht zum Tragen kommen) oder gleich durch ausdrückliche Deckungsverweigerung beantwortet. Das erspart ihr Geld, gewiss. Zunächst jedenfalls.

Was eine Versicherung zahlen muss und was nicht, ergibt sich aus dem Vertrag. Der ist zwar nicht immer leicht zu lesen, denn neben der Polizze gelten regelmäßig Besondere Bedingungen (Klauseln) und zusätzlich, falls vereinbart [1], noch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen [2]. Diese AVB können sich noch dazu über die Zeit ändern (was bei in der Regel lang laufenden Versicherungsverträgen schon eine Rolle spielen kann). Auch muss man sehen, was seinerzeit überhaupt beantragt wurde und ob es nicht vom Polizzeninhalt abweicht [3]. Aber es gibt schon einen reichen Erfahrungsschatz: Fast alles ist ja schon einmal vorgekommen und damit auch schon einmal entschieden worden. Die Auslegung hat sich dabei am Maßstab des „durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers" zu orientieren [4], und nicht etwa am Spezialwissen der Versicherung.

Muss die Versicherung laut Vertrag leisten und zahlt sie dennoch nicht, wird sie geklagt [5]. Die Klagsführung wäre für die Versicherung kein Grund, den Kunden rauszuschmeißen, wie dies erst kürzlich zum Bankvertrag erkannt wurde [6]. Auch für Klagen gegen eine Versicherung besteht sogar oft Versicherungsschutz einer Rechtsschutzversicherung – und sei es bei derselben Anstalt!

Zahlt die Versicherung aber systematisch nicht, so wird man sich fragen müssen, ob nach ihrem „Geschäftsplan die Belange der Versicherten noch ausreichend gewahrt sind, insbesondere ob die Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen noch als dauernd erfüllbar anzusehen sind." [7] Besser noch, man fragt das gleich die FMA. Denn die Finanzmarktaufsicht ist die zur Aufsicht über Versicherungen berufene Behörde [8]: Sie erteilt die für den Betrieb des Versicherungsunternehmens erforderliche Konzession. Und sie nimmt sie auch wieder zurück. Dann nämlich, wenn einzelne Konzessionsvoraussetzungen nicht mehr gegeben sind [9]. In diesem Fall müssen bestehende Versicherungsverträge ehestmöglich beendet und dürfen neue Versicherungsverträge nicht mehr abgeschlossen werden [10]. Die FMA muss sogar, um die Interessen der Versicherten zu wahren, alle geeigneten Maßnahmen treffen. Was das zum Beispiel sein könnte? Insbesondere kann sie „die freie Verfügung über die Vermögenswerte des Unternehmens einschränken oder untersagen" [11]. Und das wäre dann kein so gutes Geschäft.

Benedikt Wallner, 18.1.2014

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[1] der lapidare Satz, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen wären der Antragstellerin übergeben worden, hat der Entscheidung 7 Ob 31/03i für eine „Vereinbarung" nicht gereicht.

[2] Die AVB als Allgemeine Geschäftsbedingungen werden Vertragsbestandteil, wenn sie vertraglich vereinbart worden sind (zuletzt einheitliche Rechtsprechung). Anderenfalls kommt - wenn Art der Versicherung, versichertes Risiko und Prämie feststehen - der Versicherungsvertrag nicht etwa gar nicht, sondern eben ohne die AVB zustande, vgl. RS0117649.

[3] Vgl. 7 Ob 31/03i

[4] RS0050063

[5] Vgl. www.wienrecht.at/presse/250-versicherer-arag-verlor-deckungsprozess

[6] Das OLG Wien hat am 29.10.2013 zu 5 R 51/13a (rechtskräftig) entschieden, dass die Erhebung von - auch möglicherweise unberechtigten - Schadenersatzansprüchen durch den Kreditnehmer für die kreditgewährende Bank keinen ausreichenden Grund zur außerordentlichen Kündigung des Kreditvertrags und sofortigen Fälligstellung darstellt. Nach § 987 ABGB müsste die Aufrechterhaltung des Vertrages unzumutbar sein, damit die Bank ihn kündigen kann. Nicht ausreichend ist demgegenüber, dass das Vertrauen in die Person des Vertragspartners ganz allgemein - und ohne konkreten Bezug zum Vertrag - erschüttert ist. Die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen stellt nach Ansicht des OLG Wien jedenfalls kein Verhalten des Kreditnehmers dar, welches das Vertrauensverhältnis zwischen Bank und Kreditnehmer derart erschüttern könnte, dass die weitere Vertragsbindung für die Bank unzumutbar wäre. Das wird man analog auch zum Versicherungsvertrag vertreten können, zumal dann, wenn nicht einmal Schadenersatz, sondern nur Vertragserfüllung begehrt wird.

[7] iSd § 4 Abs 6 Z 2 VAG

[8] § 99 Abs 1 iVm § 7 Abs 2 Versicherungsaufsichtsgesetz

[9] § 7b VAG

[10] § 7b Abs 3 VAG

[11] § 7b Abs 4 VAG