I.
Prominente sind zwar mir im Allgemeinen unsympathisch, nicht aber der übrigen Menschheit. Zu Michael Schumacher kann ich nichts sagen, ich kenne ihn nicht, und Méribel ebenso wenig. Falls er Ansprüche gegen den Pistenhalter geltend macht, müsste er das ohnehin nach dem französischen Recht des Unfallorts tun [1]. Und das kenne ich auch nicht. Doch bin ich einer von ganz wenigen [2] Österreichern, die alljährlich – so auch diese Weihnachten – nach Frankreich Schifahren gehen (nämlich meist zwischen Megève und Chamonix). Und der sich wundert.

II.
Das schöne, stolze Frankreich „ist das wichtigste [3] Touristenziel der Welt" (Wikipedia). Dort kennt man sich aus mit dem Tourismus! Und wer schon mal im Sommer an seinen Küsten, im Burgund oder an den Pyrenäen weilte, weiß, dass nirgendwo der Tourist ernster genommen wird als dort: Wegweiser sind durchdacht, ein Verlaufen ist unmöglich. Museumsbesuche gestalten sich nicht mühsamer als wegen des großen Andrangs unbedingt nötig. Da ist das unvergleichliche Baguette, das noch dazu weniger kostet als bei uns so manche Semmel. Da ist die verlässliche Freundlichkeit, mit der (zahlenden) Fremden begegnet wird. Man hat dort nämlich begriffen, was so mancher österreichischen Region an Einsicht noch immer abgeht: So viele Gäste! – sollen wiederkommen, macht uns stolz – besser zufrieden – große logistische Aufgabe – aber Know-how aus jahrzehntelanger Erfahrung! (Höchstens einmal an der Champs-Élysées herrscht venezianischer Nepp, denn dorthin werden Gäste jedenfalls immer in rauen Mengen strömen.)

III.
Vom Wintertourismus wird diese Attraktivität Frankreichs allerdings nicht herrühren. Man kann das auch Nonchalance nennen, die kultivierten Franzosen nörgeln ja nicht wie wir. Ich nenne es zehn Jahre Rückständigkeit: Ein ganzes Schidorf hat zusammen nur eine Liftkassa (deren spärliche Schalter selbst zu Weihnachten nicht alle besetzt sind), was allmorgendlich zu stundenlangem Anstellen führt. Doch, es gibt schon auch Kartenautomaten; für französische Kreditkarten halt. Stundenkarten sind unbekannt. Der Tellerlift ist noch weit verbreitet. Weht ein Fönlüftchen – für das Hochgebirge nicht eben ungewöhnlich – schalten sich die Seilbahnen automatisch ab. Was natürlich zu Trauben vor den verbleibenden Sesselliften führt. Es herrschen noch Vierersessel vor, selbstverständlich offen und gegebenenfalls zugeschneit. Ein Sechsersessel gilt schon dermaßen als Rarität, dass er von den Urlaubern so lange bestaunt wird, bis schließlich 2 oder höchstens 4 Personen darauf Platz genommen haben. In den letzten Jahren hat zwar das Liftpersonal [4] begonnen, bei Stauungen verstohlen dazu aufzufordern, möglichst viele der vorhandenen Plätze zu besetzen. Seine Hauptaufgabe besteht indessen immer noch darin, aus unerfindlichen Gründen den Langsam- oder auch gleich den Ausschalter zu betätigen. Und wenn der Lift einmal steht, muss gefühlt der Stadtmechaniker gerufen werden, bis er sich wieder in Gang setzt.

IV.
Aber davon sollte ich nicht erzählen, ebenso wenig wie von der Haubengastronomie, die dort, wo bei uns einfache Schihütten aufgetaute Germknödel, Kaiserschmarrn oder ein Paarl Würstl verkaufen, ohne jede Alternative steht: Gut schon, aber auch sauteuer und personell unterbesetzt. Die Preise für ein Mahl auf der Piste, Getränke nicht gerechnet, beginnen knapp unter € 20,- für einen Salat, und falls sich ein Kind etwas aussucht, sind auch schon mal € 30,- weg. Pro Person. Bis man – gerne auch mit Kreditkarte – bezahlen darf, wartet man fast so lange wie eingangs, dass einem ein Tisch zugewiesen wird (einfach hinsetzen ist nicht).

V.
Auf meiner Schihaube prangt der gallische Hahn, denn ich liebe Frankreich. Mit meinem Sohn, ein halber Franzose, teile ich mir einen Schihelm. Beide mögen wir den Helm nicht besonders, also streiten wir meist darum, wer ihn heute nicht bekommt. Ob das klug ist? Die StVO gilt ja auf Schipisten nicht, zumal Schipisten keine Straßen sind. Während Autos sich nämlich „regelmäßig auf vorgegebenen Fahrbahnen und Fahrlinien bewegen, gehören beim Schilauf ständige Änderungen der Fahrtrichtung, der Fahrweise und Fahrgeschwindigkeit zum Wesen dieses Sports und verlaufen die Fahrspuren im normalen Pistenbetrieb kreuz und quer" [5]. Von zu Hause in Österreich bin ich aber gewöhnt, gar nicht irrtümlich von der Piste abkommen zu können, einfach weil sie sehr deutlich als Piste gekennzeichnet ist: Das ist am Loser so und am Dachstein, in Damüls und in Obertauern, in Gastein, der Flachau und in Schladming. Es macht auch durchaus Sinn, denn wehe dem Liftunternehmer [6], der als Pistenbetreiber [7] und Vertragspartner [8] seinen Gast auf ein Hindernis prallen oder gar abstürzen lässt (muss ja kein guter Schifahrer sein, der sich in jeder Situation zu helfen wüsste)! Auch bei starkem Nebel oder Schneefall sieht man in Österreich immer noch, wo es langgeht. Die Rechtslage bei uns macht es erforderlich: Ein Liftunternehmer haftet als Pistenhalter [9] im Allgemeinen zwar „nicht für die Folgen einer Fahrt außerhalb der von ihm markierten Schipiste, es sei denn, die Benützer hätten die Pistenbegrenzung infolge mangelhafter Markierung nicht deutlich wahrnehmen oder eine Markierung trotz gehöriger Aufmerksamkeit missverstehen können" [10]. Schon in den Siebzigerjahren trugen bei uns die Markierungsstangen Neonfarben! Das darf man von Frankreich nicht erwarten, und darum kauf ich uns jetzt, für Frankreich, einen zweiten Helm:

VI.
Zwei Tage vor Michael Schumacher fuhr ich zum x-ten Mal unsere Piste, Nant Rouge, bei Sonnenschein und prachtvoller Sicht auf den Mont Blanc, diesmal halt vielleicht um ein paar Meter versetzt. Und stürzte unversehens in ein Loch oder eine Grube, in der es wohl nur zufällig keine Steine gab (die würden in Österreich weggeräumt [11] oder verkleidet werden). Mein Söhnchen lachte herzlich, weil es mich in der Grube stauchte und aus der Bindung katapultierte, und ich – eh unverletzt – hatte das auch gleich wieder vergessen. Aber erwarten Sie keine Pistenmarkierungen, Fangnetze oder eingehauste harte Hindernisse in Frankreich. Jedenfalls bisher nicht. Es kommen auch so genug Touristen. Wenn natürlich ein Prominenter zum Opfer wird, schaut die halbe Welt zu, und dabei könnte dann schon auffallen, dass der Wintertourismus in Frankreich nicht nur als Industrie unterentwickelt, sondern unnötig gefährlich ist.

Benedikt Wallner, 12.1.2014

---

[1] nach Art 4 Abs 1 der Verordnung (EG) Nr 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II")

[2] Warum Österreicher nicht nach Frankreich zum Schilaufen fahren? Warum fahren Franzosen nicht nach Österreich zum Baden?

[3] Nicht etwa prozentuell auf die Bevölkerung hochgerechnet, sondern in absoluten Zahlen; weit vor den ebenfalls attraktiven, aber viel größeren USA.

[4] Das spricht übrigens lupenreines Französisch – ich möchte umgekehrt nicht wissen, wie sich ein Franzose mit gewissen Kenntnissen des Hochdeutschen am Arlberg oder im Salzburger Land mit der Verständigung tut.

[5] 1 Ob 16/12b mwN

[6] Meist wird Pistenbetreiber der Liftunternehmer sein, vgl. 1 Ob 246/02m

[7] Vgl. RS0023326 zur Verkehrssicherungspflicht eines Schiliftunternehmers: Wer den Schiverkehr im unmittelbaren Bereich einer künstlichen und natürliche Gefahrenquelle eröffnet oder unterhält, hat die Pflicht zur Sicherung des Verkehrs und zur Ergreifung der nach der Verkehrsauffassung erforderlichen und zumutbaren Schutzmaßnahmen.

[8] 1 Ob 16/12b betont das in der Regel vertragliche Verhältnis zwischen Schifahrern (und wohl auch Snowboardern) und dem Pistenhalter: durch den Erwerb der Liftkarte!

[9] Der Pistenhalter ist nach der E 2 Ob 30/10s gar am Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB (Sachverständigenhaftung) zu messen!

[10] 1 Ob 246/02m

[11] Vgl. 8 Ob 1685/92: „Dem Pistenerhalter ist an dem Schiunfall ein Verschulden anzulasten, wenn er ein unmittelbar neben der Piste befindliches Hindernis, nämlich einen lose liegenden Baumstrunk mit Wurzeln, der eine atypische Gefahrenquelle darstellte, nicht entfernt hatte, obwohl dies ohne besonderen Aufwand möglich gewesen wäre."