Interkulturalität sieht man nicht, und man kann sie auch nicht angreifen. Ist sie eine innere Haltung, eine Einstellung? Kann man Interkulturalität im mindesten als ein In-Betracht-Ziehen verstehen? Sie greift wohl dort nicht Platz, wo eine politische Partei in einer Massen-aussendung fragt: “Wer kümmert sich um unsere jungen Mütter? SPÖ und ÖVP nicht, denn sonst würden sie nicht zulassen, daß die Wr. Gemeindekindergärten von Ausländerkindern überfüllt sind” (“Wr. Freie Zeitung” 2d 1999). Zuviele Ausländerkinder sind schlecht, folgert man.
Wie geht das offizielle Österreich mit den “Fremden” um? Welche Haltung hat es zum Fremden und zu den Fremden? (als “Fremde” definiert das Gesetz all diejenigen, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen.) Folgende ausgewählte 9 Beispiele aus dem Fremdenrecht sollen wie Gleichnisse verdeutlichen, daß Interkulturalität kein Bestandteil des offiziellen Österreich ist. Daß es die Republik Ö. nicht einmal in Betracht zieht, es gäbe möglicherweise au-ßerhalb ihrer selbst noch anderes Beachtenswertes.
1. Fall, HOZAN M. / ASYL
Hozan M. flüchtet am 24.12.1991 aus dem kurdischen Teil der Türkei nach Österreich und stellt hier einen Asylantrag.
Erst am 8.7.1993 wird darüber entschieden, dem Einschreiter komme kein Asyl zu. Hozan M. erhebt dagegen Berufung, am 10.2.1994 entscheidet die zweite und letzte Instanz, der Bun-desminister für Inneres, die Berufung werde abgewiesen, der Asylwerber hätte ja während seiner Durchreise in Rumänien und in Ungarn bei den dortigen Behörden um Asyl ansuchen können.
Interessant ist insbesondere, welcher Sprache sich die Behörde bedient:
“Daran verschlägt auch die relative Kürze des Aufenthalts in Rumänien nichts, da nicht ein-zusehen ist, welchen Einfluß (ceteris paribus) bloßer Zeitablauf auf die Beantwortung der Frage, ob eine Person im Hoheitsgebiet eines souveränen Staates vor Verfolgung durch einen anderen Staat sicher ist oder nicht, etwa entfalten könnte. Verfolgungssicherheit ist bereits im Augenblick des Betretens dieses Staates als gegeben anzunehmen und vermag die einmal erlangte Verfolgungssicherheit durch Verstreichen von Zeit nicht zu wachsen, zumal diesem Begriff nichts graduelles inhäriert, d.h. nur die Disjunktion sicher/unsicher in Rede stehen kann.”
Wer sich einer solchen Sprache bedient, will nicht verstanden werden!
Gleichwohl ist diese Begründung der höchsten Behörde inhaltlich wie formal falsch: Ungarn hatte die Genfer-Flüchtlingskonvention nur mit europäischem Vorbehalt ratifiziert, d.h., daß es nur Flüchtlinge aus Europa anerkennt, während Hozan M. aus dem asiatischen Teil der Türkei stammt und sofort abgeschoben worden wäre.
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher am 25.4.1995 den angefochtenen Bescheid aufgehoben.
Daraufhin erläßt der Innenminister - am 9.1.1996 - nochmals einen abschlägigen Asylbescheid: “Da Sie nach Ihrem Vorbringen den türkischen Behörden keine Namen (von anderen PKK-Aktivisten) hätten nennen können, hätten Sie Ohrfeigen, Fußtritte, Stromstöße bekommen, wobei die Elektroden an Ihren Fingern angeschlossen wurden. Daraufhin hätten Sie Ihre Fingernägel verloren. Am 20.10.1991 sei die Leiche Ihres Vetters zur Bestattung in Ihr Dorf überstellt worden. [...] Zwei Tage später habe Ihnen der Dorfwächter gesagt, daß Sie bei der Gendarmeriestation vorsprechen sollten. Darauf hätten Sie sich zur Ausreise entschlossen und seien nach Istanbul gereist. [...] Seither suche man Sie seitens der Polizei. [...] Zu Ihrem Vorbringen, der Dorfwächter habe Ihnen gesagt, daß Sie bei der Gendarmerie vorsprechen sollten, daraufhin hätten Sie sich nun zur Ausreise entschlossen, seien nach Istanbul gefahren und seither suche man Sie seitens der Polizei, ist nicht geeignet, Ihre Flüchtlingseigenschaft zu indizieren, denn stellt eine bloße Vorladung zur Gendarmerie keine Verfolgung iSd Genfer-Flüchtlingskonvention dar und die Nichtbefolgung einer Ladung und die daraus resultierenden Nachteile bzw. Maßnahmen seitens des Staates ebensowenig, denn liegen diese Nachteile allein in Ihrer Sphäre, wenn Sie einer Vorladung, der ja kein pönaler Charakter inhäriert, nicht Folge leisten.” Zitat Ende.
Dies, obwohl längst eine ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes existiert, wonach es nicht erforderlich ist, die konkrete Verfolgung geradezu zu “provozieren”!
Der Bescheid weiter: “Auch haben Sie keine Umstände geltend gemacht, die sich auf das gesamte türkische Staatsgebiet beziehen, sondern sind die von Ihnen aufgestellten Behauptungen auf Ihr Heimatgebiet topographisch eingeschränkt. Die von Ihnen behauptete Unbill hätten Sie jedenfalls im Falle Ihrer Niederlassung in den in der Türkei überwiegend befriedeten Territorien, so z.B. Istanbul, nicht zu gewärtigen.”
Entgegen der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu entscheiden, kann von Rechtsunkenntnis zeugen oder von einem Justamentstandpunkt. Im Wohnrecht war zu Zeiten der Hochspekulation Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre bei Spekulanten die Methode beliebt, vollvermietete Zinshäuser billig aufzukaufen und dann einfach auf Verdacht sämtlichen Mietern zu kündigen, um Freiflächen zur Weiterverwertung zu schaffen. Auch wenn die meisten Mieter dagegen erfolgreich Einspruch erhoben: ein paar Kündigungen gingen immer durch. Möglicherweise verfolgt die Verwaltung mit solcher Spruchpraxis einen ähnlichen Zweck: Ein paar Asylanten laufen zum VwGH, vielleicht sogar mehrmals - das stört nicht, denn die überwiegende Mehrheit wird mit solchen Bescheiden endgültig erledigt.
Der Bundesminister für Inneres übersieht beispielsweise bei seiner Empfehlung an den Asylwerber, sein Heimatgebiet zwar topographisch zu verlassen, jedoch im Heimatland zu bleiben und sich etwa in Istanbul anzusiedeln, klar die Systematik der Genfer-Flüchtlingskonvention wie auch den völkerrechtlichen “Staats”-Begriff: Dort (Kap. I Art 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Konvention) heißt es nämlich, daß “als Flüchtling anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen”, wobei sich ganz ohne jede Auslegung zwanglos ergibt, daß mit dem “Land” gerade kein topographischer Begriff, sondern eben das Land, hier also der ganze Staat Türkei gemeint ist.
Der neuerlichen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird - wenn auch erst am 10.6.1998! - daher neuerlich stattgegeben. Der Verwaltungsgerichtshof:
“Unter diesem Gesichtspunkt kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Vorladung zur Gendarmerie “keinen pönalen Charakter” gehabt habe, da die Annahme einer Furcht vor Verfolgung nicht voraussetzt, daß der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgung bereits erlitten haben muß oder ihm eine solche bereits konkret angedroht worden ist. ... Zutreffend verweist der Beschwerdeführer auch darauf, daß die belangte Behörde keine nähere Begründung dafür angibt, weshalb sie davon ausgehen zu können glaubte, der Beschwerdeführer werde nicht im gesamten türkischen Staatsgebiet gesucht.”
2. Herr Pei WANG:
Pei Wang ist chinesischer Staatsbürger und betreibt in NÖ mit seiner Familie ein Chinarestaurant.
Mit Bescheid vom 22.3.1995 verfügte die Bezirkshauptmannschaft Gmünd über ihn ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Begründung, “daß Sie am 25.4.1994 von einem Organ des Arbeitsamtes Gmünd beim Einräumen von Lebensmitteln in ein Regal angetroffen wurden, ohne daß für Sie eine entsprechende Bewilligung nach dem Ausländerbeschäf-tigungsgesetz vorlag. Ihr Arbeitgeber, Herr B., wurde mit Straferkenntnis ... vom 29.12.1994 rechtskräftig bestraft. Aufgrund dieser Tatsache ist die Annahme gerechtfertigt, daß die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet wird.”
Herr B. ist in Wahrheit allerdings sein Schwiegervater. Einem ungeschriebenen Gesetz innerhalb der chinesischen Gesellschaft zufolge hat er im Rahmen seiner Familienbande seinem Schwiegervater lediglich dabei geholfen, Lebensmittel in ein Regal in der Küche zu räumen. In mitteleuropäischen Gesellschaften hätte man es vielleicht gar nicht anders gemacht, in der chinesischen ist es schier unmöglich, danebenstehend zuzusehen, wie ein Familienmitglied arbeitet, ohne sich selbst zu beteiligen!
Nicht einmal die Behörde selbst behauptet, daß dieses Mithelfen etwa entgeltlich geschehen wäre (eine rechtliche Voraussetzung, die für “Schwarzarbeit” grundsätzlich erforderlich ist) und war es das natürlich auch nicht, wie man sich leicht denken kann.
Darüber setzt sich die Behörde aber ebenso hinweg wie über den im Verwaltungsverfahren geltenden Grundsatz res iudicata ius non facit nisi inter partes. Das heißt, daß der Bescheid, mit dem sein Schwiegervater, Herr B., - tatsächlich - wegen angeblicher Schwarzbeschäftigung von Herrn Wang zu einer geringen Verwaltungsstrafe verurteilt wurde, natürlich keine Rechtswirkungen gegenüber Herrn Wang zu entfalten vermag: Herr Wang war schließlich nicht Partei jenes Verfahrens, er hatte also keinerlei Möglichkeit zu Sachvorbringen, Beweisanträgen oder Rechtsmitteln.
Die Berufungsbehörde läßt sich davon nicht beeindrucken und zieht - erstmals im Berufungsverfahren – noch einen weiteren Grund für das Aufenthaltsverbot heran. Sie habe nun nämlich herausgefunden, daß Herr Wang vom Landesgericht Krems bereits am 5.10.1992 wegen schwerer Wilderei zu einer teilbedingten Geldstrafe verurteilt worden ist.
War Herr Wang also auch noch ein Wilderer, ein Schwerkrimineller? Nein, aber er hatte auch 1992 vor dem Strafgericht schon wenig Glück gehabt: Damals hatte er den von seiner eigenen Familie gepachteten Boden betreten und nicht gewußt, daß an dem Bach, der den Pachtgrund durchfließt, fremde Fischereirechte bestehen. Er traf zufällig auf einen Jugendlichen, der ein Luftdruckgewehr mit sich führte (nicht etwa: verwendete!) - also nicht gerade die tattypische Schußwaffe aller Wildereidelikte. Das Luftdruckgewehr hat Herr Wang nie angerührt, aber der Bitte des Jugendlichen, Herr Wang möge dessen Fischstange um einen Meter im Gewässer versetzen, kam er nach. Beide wurden dabei beobachtet und beide wegen Wilderei angezeigt und eben verurteilt, wobei das Strafgericht 1992 aufgrund der außerordentlichen Geringfügigkeit der Tat - Fische wurden keine gefangen - und wohl aufgrund des fehlenden Nachweises eines erforderlichen Vorsatzes bei Herrn Wang die außerordentlich milde Geldstrafe verhängte.
Der Aufenthaltsbehörde war es daher von 1992 bis 1995 gar nicht der Rede wert gewesen, etwa deswegen die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu verweigern oder sogar ein Aufenthaltsverbot auszusprechen. Aber auch dieses Argument überzeugte die Berufungsbehörde nicht, das fünfjährige Aufenthaltsverbot wurde bestätigt und Herr Wang mußte dagegen Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde erheben.
Immerhin wurde der Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt, sodaß Herr Wang bis zur Entscheidung - am 24. August 1998 - vorläufig weiterhin in Österreich bleiben durfte. Allerdings konnte er vier Jahre lang nicht das Land ver-lassen und zum Beispiel den Rest seiner Familie in China nicht besuchen, weil er - man-gels gültigen Sichtvermerks - nicht mehr nach Österreich würde einreisen können.
Hier haben wir erneut ein ausgesprochen sprödes Verhalten der Fremdenbehörden vor Augen: Sie konstruieren Sachverhalte, die so nie stattgefunden haben (Einräumenhelfen im Fami-lienverband = Schwarzarbeit) und setzen sich über Rechtsgrundsätze hinweg (res iudicata ius non facit nisi inter partes, Erfordernis der Entgeltlichkeit). Ich sage nicht, daß es ihr Ziel ist, hier lebende Fremde um jeden Preis zu entfernen, welchen Eindruck man leicht gewinnen kann. Aber in sämtlichen übrigen Rechtsbereichen - mit Ausnahme vielleicht der Strafjustiz dann, wenn es um Polizeiübergriffe geht - wäre ein derart voreingenommenes Behördenhandeln schlicht undenkbar.
Der Verwaltungsgerichtshof entschied:
“Es liegt kein Fall vor, in welchem das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig und daher eine gesonderte Begründung der Ermessens-entscheidung entbehrlich wäre.”
Damit war die Beschwerde als gegenstandslos zu erklären und das Verfahren einzustellen. Denn inzwischen war das Aufenthaltsrecht wieder einmal geändert worden, gemäß Fremdengesetz 1997 war dem Beschwerdeführer, obwohl er vor dem Verwaltungsgerichtshof obsiegt hatte, kein Kostenersatz mehr zuzusprechen, maW, er hatte seine Kosten iHv S 12.500,-- selbst zu tragen.
Es ist also nicht so, daß der Gesetzgeber mit den vielen Mißständen in der Verwaltung des Fremdenrechts über die letzten Jahre hin kein Einsehen gehabt hätte: Mit der zitierten Regelung hat sich die Republik eine Bestimmung geschaffen, die endlich eine Antwort auf die vielen teuren Verfahren vor dem VwGH geben sollte - sie hat den Kostenersatz für tausende anhängige Verfahren einfach abgeschafft und sich so viele Millionen Schilling erspart. Fremde, die nach 3, 5 oder 7 Jahren vor dem Höchstgericht endlich Recht bekommen, dürfen, so will es das neue Gesetz, sich diesen Rechtsschutz jetzt selber zahlen (eine Entschädigung für die mehrjährige Verweigerung ihres Rechtes war ohnehin nie vorgesehen).
Auch Politiker haben auf die Mißstände reagiert - uzw. mit Verunglimpfung der Rechtsanwaltschaft, nach der bewährten Methode kill the messenger: Der damals zuständige Stadtrat für die Administration des Fremdenrechtes, Johann Hatzl(in: FALTER 31/96): “Das Kapitel Rechtsanwälte ist überhaupt ein merkwürdiges: Ich werde ständig mit der Tatsache konfrontiert, daß Rechtsanwälte - obwohl sie ganz genau wissen, daß nichts zu machen ist - Leuten viel Geld abnehmen für Tätigkeiten, die man mit der Information “da ist nichts zu machen” erledigen könnte. Da werden arme Teufel ausgenutzt.”
Dazu muß man wissen, daß der Stadtrat einer Behörde vorstand, die beispielsweise einen Verlängerungsantrag eines Polen mit der Begründung abweist: “Der Antragsteller wurde am 15.3.1994 wegen § 143 (schwerer Raub) rechtskräftig verurteilt”, obwohl es gar kein Strafurteil vom 15.3.1994 gibt und er auch an anderen Tagen nie wegen schweren Raubes verurteilt wurde! Im nächsten Fall verschaut sich - bestenfalls! - der Beamte und weist einen fünften Verlängerungsantrag ab, weil angeblich das Einkommen laut Gehaltszettel zu gering sei: Dabei blickt er allerdings nicht auf den ausgeworfenen “Nettoverdienst”, son-dern auf den viel geringeren “Steuerfreibetrag” - für Herrn Hatzls öffentliche Schmähung des Anwaltsstandes gab es also schon deswegen keinen Grund, weil seine Behörde so unvergleichlich schlechte Arbeit leistete, daß es in jedem Falle ratsam war, sie zu überprüfen!
3. Charles O. oder: Nicht alle Nigerianer sind Kriminelle:
Am 2.5.1997 begaben sich 2 Polizisten in die von Herrn O. vorübergehend benutzte Woh-nung. Sie hatten einen “vertraulichen Hinweis” erhalten, daß sich an dieser Adresse nicht namentlich genannte Personen ohne Aufenthaltsberechtigung aufhalten sollen.
Die Polizeibeamten nahmen ohne richterlichen Befehl eine Hausdurchsuchung vor, was nur bei Gefahr im Verzug erlaubt wäre. Gefahr im Verzug bestand nicht und wurde auch nicht behauptet. Herr O., nigerianischer Staatsbürger schwarzer Hautfarbe, war zu diesem Zeitpunkt nicht in der Wohnung anwesend. Vorübergehend anwesend war lediglich eine Bekannte eines Freundes von ihm. Auch sie gestattete keine Durchsuchung, wenngleich sie, da selbst Ausländerin, bei Ansichtigwerden der Polizisten diesen natürlich den Zugang zur Wohnung nicht verweigerte.
Die Polizeibeamten entnahmen einer Schublade den echten Reisepaß des Herrn O. und noch einen Reisepaß, der eindeutig gefälscht war. Das heißt, hier und erst hier taucht wirk-lich eine strafbare Handlung auf - aber noch lange kein Täter, denn Herr O. war ja nicht da. Sobald er angetroffen werden konnte, wurde er festgenommen, Begründung: Verdacht auf Urkundenfälschung und außerdem Flucht-, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr.
Bekanntlich ist ein Festgenommener binnen 48 Stunden dem Untersuchungsrichter vorzu-führen, der entscheidet, ob die Untersuchungshaft verhängt wird oder ob der Angezeigte auf freiem Fuß belassen wird. Nachdem aber der verständigte Staatsanwalt gar keinen Haftantrag stellte, weil er die Haftgründe nicht als verwirklicht ansah, wäre der Festgenommene unverzüglich freizulassen gewesen.
Nur, so unschuldig kann kein Schwarzer sein: Obwohl sich Herr O. im Besitz eines gültigen Meldezettels und, wenn auch keiner gültigen Aufenthaltsbewilligung, so doch eines Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes befindet, womit unserer Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, sich Herr O. also faktisch bis zur Beendigung des Verwaltungsgerichtshofsverfahrens in Österreich aufhalten darf, und obwohl er dies alles der Behörde vorweist, wird über ihn die Schubhaft verhängt, Begründung,
“Zur Sicherung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit ist die Verhängung der Schubhaft notwendig, da durch Ihren unbefugten Aufenthalt im Bundesgebiet, Ihre nicht feststehende Identität, (und) die von Ihnen verübte strafbare Handlung (entgegen der Unschuldsvermutung im Indikativ!) die Durchsetzung der fremdenpolizeilichen Maßnahme gefährdet und begründeter Verdacht besteht, daß Sie Ihr strafbares, rechtswidriges Verhalten im Verborgenen fortsetzen werden”.
Gegen Schubhaft steht die Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat zu. Der UVS förderte nun Erstaunliches zutage:
“Herr O.: Es trifft zwar zu, daß ich bei meiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Poli-zei den Wohnungswechsel damit begründet habe, daß ich dadurch einer eventuellen fremdenpolizeilichen Kontrolle entgehen könnte. Dies ist aber so zu verstehen, daß ich, da die Wohnung in der Stumpergasse in einer Entfernung von allenfalls drei Minuten Gehzeit zum Westbahnhof liegt, in der Umgebung dieser Wohnung im Hinblick auf die Nähe zum Westbahnhof fast bei jedem Verlassen der Wohnung mit einer Polizeikontrolle inklusive Perlustrierung konfrontiert war, während dies an der Anschrift in Wien 17 nicht der Fall war. Daher habe ich vorübergehend nur meine eigentliche Wohnung in Wien 6 verlassen und in der Wohnung eines Freundes in Wien 17 Aufenthalt genommen. Es ist natürlich verständlich, daß ständige Polizeikontrollen in der Öffentlichkeit äußerst unangenehm sind, vor allem, weil bei ihnen (niemals ein) polizeilich relevanter Sachverhalt zutage trat."
Man kann also denselben Sachverhalt völlig verschiedenartig interpretieren - was ja nichts neues ist, aber ein Licht auf das jeweilige erkenntnisleitende Interesse der jeweiligen Behörden aufwirft!
Außerhalb des Protokolls vermerkte der Verhandlungsleiter des UVS, er verstehe diese Situation persönlich sehr gut: Erst vor wenigen Monaten habe er, als Tourist, am New Yorker Flughafen umsteigen müssen. Er wurde vor dem Einsteigen zum Weiterflug einer ihm höchst peinlichen Perlustrierung durch die dortigen Zollbehörden unterzogen. Dies offenbar wahllos, so wie andere Fluggäste auch. Er wurde dabei befragt, ob er etwa Kommunist oder gar Terrorist sei, ob er auch ausreichende Mittel für seinen Unterhalt und schließlich ein Rückflugticket besitze. Da er als letzter von der Kontrolle entlassen im Flugzeug Platz nahm, war er den mißtrauischen Augen aller Mitreisenden ausgesetzt. Noch heute sei er über diese demütigende Behandlung verärgert und könne sich daher gut in den Beschwer-deführer hineinversetzen, der aufgrund seiner schwarzen Hautfarbe in der Umgebung des Westbahnhofes beinahe täglich derartigen Kontrollen ausgesetzt ist.
Solche Beispiele für (in der Rechtsanwendung stets notwendige!) Empathie machen deutlich, daß es nicht an den vollziehenden BeamtInnen liegt, wenn AusländerInnen nicht zu ihrem Recht kommen. Der UVS erklärte schließlich die Schubhaft für rechtswidrig und verurteilte den Bund zum Kostenersatz.
4. Herr E.:
Wie die bisherigen Beispiele gezeigt haben, fällt es Menschen in der Fremde schon schwer genug, sich zurecht zu finden, wenn sie im Vollbesitz ihrer geistigen und körperlichen Kräfte, jung und arbeitsfähig sind. Der lächerlich niedrigen Kontingente bedarf es nicht, Assimilation wird ohnehin durch die Komplexität des Alltagslebens erzwungen und hält über Mundpropaganda Unwillige fern. In der Fremde gibt es Hoffnung, aber nichts geschenkt, und das ist weniger, als es zuhause gibt, wo man sich zumindest verständigen kann und zumeist auch einen Platz hat, obschon daran oft keinerlei Rechte.
Was aber macht ein Mensch, der in der Fremde krank wird? Wer emigriert, trägt das virtuelle und oft nur aufgeschobene Joch des Verlustes seines Wertes mit in die Fremde und ver-zichtet auf die ausgetretenen Pfade, auf denen dieses Problem in seiner Heimat üblicher-weise gelöst wird.
Herr E. kam als Halbwüchsiger mit seinen Eltern 1977 von der Türkei nach Österreich. 1990 und 1991 wurden ihm zwei Kinder geboren. Herr E., der noch hier zur Schule ging und nach Abschluß der Hauptschule eine Lehre absolvierte, hat nie um die österreichische Staatsbürgerschaft angesucht. Bereits kurz nach Beginn der Lehre zeigte sich zum erstenmal eine psychische Erkrankung, nach der Diagnose des Kaiser Franz-Josefs-Spitals leidet er an chronisch paranoider Psychose. Ohne die Betreuung seiner Eltern müßte Herr E. stationär in ein Krankenhaus aufgenommen werden.
Aufgrund seiner psychischen Krankheit ist Herr E. nicht in der Lage, seine eigenen Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Das ist die Rechtsformel für die Bestellung eines Sachwalters. Ebensowenig ist er natürlich imstande, die elterliche Obsorge für seine beiden minderjährigen Kinder auszuüben. Zu all seinem Unglück verweigert die Behörde die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, Begründung: Herr E. gehe keiner Erwerbstätigkeit nach, sein Lebensunterhalt sei daher nicht gesichert. Lediglich der Großvater der beiden minderjährigen Kinder verdiene monatlich S 10.343,-- netto.
Daß Herr E. schon seit 1977 rechtmäßig in Österreich lebt und hier zur Schule gegangen ist, ändert 17 Jahre später das Kalkül der Fremdenbehörde ebensowenig wie die psychische Erkrankung Herrn E.s, die ihn klarerweise an der Berufsausübung hindert.
Erster Fehler der Fremdenbehörden in beiden Instanzen: Herr E. ist aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht handlungsfähig, er hätte eines gesetzlichen Vertreters bedurft. Wer nicht handlungsfähig ist, kann nicht rechtswirksam Partei eines (Verwaltungs-)verfahrens sein, weil er ja nicht weiß und versteht, worum es geht und welche Rechte ihm zukommen.
Zweiter Fehler der Fremdenbehörden: Art. 8 Abs 2 der Europäischen MenschenRechtsKonvention schreibt eine Interessenabwägung zwingend vor, nämlich zwischen Staat und Gesellschaft auf der einen Seite an einem geordneten Fremdenwesen und dem Fremden und seiner Familie auf der anderen Seite am Verbleib im Lande. Art 8 schützt sohin das Privat- und Familienleben, die Behörde kümmert das wenig.
Herrn E. bleibt zuletzt nur eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Da er sich anwaltliche Vertretung nicht leisten kann, begehrt er Verfahrenshilfe. Der Verfassungsgerichtshof weist aber interessanterweise den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ab:
“Eine Rechtsverfolgung durch Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erscheint als offenbar aussichtslos, zumal bei der gegebenen Lage sogar die Ablehnung der Beschwerdebehandlung zu gewärtigen wäre”.
Herr E., dem wie so vielen anderen nichts anderes übrig bleibt, als sich sogar an Strohhalme zu klammern, findet schließlich eine Vereinbarung mit seinem Rechtsanwalt (und einen verständigen Anwalt) und bringt die Beschwerde trotzdem ein. Mit Erfolg, spricht doch derselbe Verfassungsgerichtshof nur zwei Monate später aus, der Beschwerdeführer sei durch den Bescheid auf Versagung der Aufenthaltsbewilligung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden. Knappe Begründung:
“Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid auf die familiäre Situation des Beschwerdeführers, der sich bereits seit 1977 in Österreich aufhält, nicht eingegangen, sie hat damit die im Sinne des Art. 8 EMRK gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen. Der Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.”
Die Fremdenbehörde hat daraufhin ein Einsehen und erteilt Herrn E. im März 1996 ebenso eine Aufenthaltsbewilligung wie seinen minderjährigen Kindern. Inzwischen allerdings war Herr E. mit Strafverfügung vom November 1995 vom Fremdenpolizeilichen Büro zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er
“sich erstens als Fremder, ohne im Besitz eines Sichtvermerkes zu sein, somit nicht rechtmäßig, im Bundesgebiet aufgehalten und zweitens, es als gesetzlicher Vertreter der minderjährigen Kinder G. und F. vorsätzlich veranlaßt (habe), daß sich diese in Wien als Fremde, ohne im Besitz eines Sichtvermerks zu sein, somit nicht rechtmäßig, im Bundesgebiet aufgehalten haben”.
5. Dr. F.:
Herr Dr. F. kommt aus Afghanistan. In Ungarn hatte er Medizin studiert und mit dem “Doktor der Medizin” abgeschlossen. Das bedeutet in Österreich leider nicht sehr viel mehr als einen ersten Schritt auf dem langen Weg der Nostrifikation: Dr. F. muß zahllose Zusatzprüfungen ablegen und braucht dafür insgesamt 5 Jahre. Währenddessen muß sein Aufenthaltsstatus in Österreich geregelt werden.
Obwohl sein Heimatland von einem der absurdesten Bürgerkriege in Stücke gerissen wird, vermag er die österreichischen Behörden nicht von einem Fluchtgrund im Sinne der Genfer Konvention zu überzeugen. Sein Asylantrag wird nach drei Jahren endgültig abgelehnt.
Nebenbei arbeitet er als Pflegehelfer, um seinen notwendigen Unterhalt zu verdienen. Krankenschwestern und -pfleger sind zwar in Österreich per Erlaß bevorzugt, weil Österreich damals dringend medizinisches Pflegepersonal braucht. Natürlich hat aber Dr. F. kein Krankenpflegediplom - sondern ist “nur” Arzt nach ungarischem Recht. Damit kommt er also nicht in den Genuß dieser Vergünstigung in Österreich, wir können im Gegenteil gerade noch seine Ausweisung verhindern, die zu einer Abschiebung nach Afghanistan geführt hätte!
Als die Aufenthaltsfrage geklärt und Dr. F. bereits annähernd 10 Jahre in Österreich wohnhaft ist, muß er um die österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen, die ja Voraussetzung für einen Turnusplatz sein wird.
Die zuständige MA 61 ist freundlich und kooperativ und läßt uns im April 1996 wissen, es werde schon noch einige Zeit dauern. Zunächst mögen eine Lohnbestätigung und ein Zeugnis über die im Rahmen der Nostrifikation bisher bereits abgelegten Prüfungen vorgelegt werden.
Im Februar 1997 hat die Bearbeiterin in der MA 61 gewechselt, außerdem hat die Behörde neue Dienstanweisungen erhalten. Der Weiterbearbeitungsantrag sei aber notiert, voraussichtlich wiederum in einem Jahr sei mit einer positiven Erledigung zu rechnen. Auf unseren Hinweis, daß Dr. S. in wenigen Monaten seine Nostrifikation beendet haben wird und dann einen Turnusplatz braucht, wird kopfnickend reagiert, es gebe aber personelle Probleme in der MA 61, sie sei unterbesetzt, ein Jurist schon länger krank, sodaß Rückstände geradezu entstehen müssen. Einstweilen möge eine aktuelle Lohnbestätigung vorgelegt werden, ebenso die Zeugnisse über die bisher abgelegten Prüfungen.
Im Februar 1998 ist für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nur mehr die Frage zu klären, wie man von einem praktisch nicht mehr existenten Staat wie Afghanistan die Bestätigung erhält, seine Staatsbürgerschaft zurückgelegt zu haben - eine Voraussetzung für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft! Eine afghanische Botschaft oder ähnliches gibt es nicht. Wir einigen uns schließlich mit der Behörde darauf, eine Stellungnahme vom Außenministerium darüber einzuholen. Inzwischen mögen wir eine aktuelle Lohnbestätigung und weitere Zeugnisse über die bislang abgelegten Prüfungen vorlegen.
Am 1.10.1998 erhält Dr. S., mittlerweile Dr. med. univ. nach österreichischem Recht, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
6. Frau B.:
Unser Land macht in einem Punkt keine Ausnahme im Verband der Europäischen Union: Wir haben ausdrücklich keinerlei Bedarf an Migranten. Derjenige Bedarf, den wir bei einer Reproduktionsrate von 1,2 bis 1,6 wirklich hätten, um alleine die Pensionen nachfolgender Generationen zu bezahlen, wird noch nicht gesehen. Die Reproduktionskurve zeigt nach unten, was in einem Versorgungssystem - die Jungen zahlen die Alten (anstelle eines echten Versicherungssystems: die Alten zahlen sich selbst aus den angesparten Beiträgen vergangener Jahrzehnte) - mit arithmetischer Präzision zum Bankrott führen muß.
Wenn schon Immigration, so die Meinung von Bevölkerung und Politik, dann nur in homöopathischen Dosen, die zu unserem eigenen, klaren und überwiegenden Nutzen ist. Kranke, Alte und Familienangehörige sowie Asylanten aus anderen Gründen als denjenigen, die nun einmal in der Genfer Flüchtlingskonvention vertypt sind, vor allem also Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge, betrachten wir daher höchst argwöhnisch und wenden nicht geringe Mittel auf, sie von unserem Land fernzuhalten. Aus diesem Blickwinkel ziehen gerade zur Zeit die österreichischen Bischöfe nicht nur gegen Abtreibung, sondern immer auch gegen Verhütung zu Felde, um die stetige Abnahme der österreichischen (i.e. weißen, zivilisierten, eigenen) Bevölkerung abzuwenden.
Relativ einfach gelingt die Rechtfertigung zum Fernhalten bei Straftätern, weil in einem Land, in dem zwar große Teile der Bevölkerung meist wegen Unachtsamkeit beim Autofahren vorbestraft sind, “Kriminalität” noch ebenso unkritisch mit vorsätzlicher Schwerkriminalität an Leib und Leben gleichgesetzt wird und man sich davor hütet, eine öffentliche Diskussion darüber auch nur zuzulassen, was Kriminalität für uns alle zu allererst ist, nämlich ein immerwährendes soziales Phänomen (vgl. die Untersuchung von Hanak, Das Böse ist immer und überall, in: Wr. Zeitung, EXTRA, vom 26./27.2.1999, S. 3f).
Wer aber wirklich schwerkriminell handelt - und Fremde/r ist - der oder die soll laut Gesetz nicht in Österreich bleiben dürfen, egal wie lange er oder sie schon hier ist. Dabei ist die dogmatische Rechtfertigung dafür gar nicht so einfach (Hat eine Österreicherin einen Fehltritt begangen, so wird sie hiefür bestraft. Die Sache unterliegt einer Tilgung und darf ihr nach Verbüßung der Strafe nicht einmal mehr vorgeworfen werden. Insoferne könnte man noch von Sühne sprechen. Die Ausländerin trifft selbstverständlich (zumindest!) die gleiche Strafsanktion. Insofern, als Verzeihung nicht möglich ist, fällt die Sühnefunktion der Strafe bei AusländerInnen aber weg: Regelmäßig werden sie direkt von der Strafhaft in die Schubhaft überstellt. Wir sollten uns daher fragen, womit wir neben der ohnehin verhängten Strafe die Landesverweisung rechtfertigen. Dies soll und kann regelmäßig nur in der immanenten oder virtuellen Gefahr begründet liegen, die jemand für das Gemeinwesen darstellt, der schon einmal straffällig geworden ist. Sieht man sich Österreichs Kriminalstatistik an, so werden Tötungsdelikte in aller Regel nur einmal begangen, sodaß die spezifische Gefahr, die von solchen Tätern ausgeht, für alle Zukunft gering ist): Immerhin werden ausländische StraftäterInnen, ebenso wie InländerInnen, ohnehin bestraft, sodaß die Ausweisung oder Verhängung eines Aufenthaltsverbots nicht als Strafe im eigentlichen Sinn gelten kann. Begründet wird sie folglich mit der Gefahr, die der Täter oder die Täterin für Österreich darstellt, was einerseits bei Einmaltätern problematisch ist und andererseits ein breites Betätigungsfeld für die Phantasie der Verwaltung eröffnet.
Frau B. lebt seit 1969 rechtmäßig in Österreich. Sie hat seit Jahrzehnten überhaupt keinen Bezug zu ihrem Geburtsland Kroatien. Die Eltern sind verstorben, alle sieben Geschwister leben in Wien. Sie hat in Österreich ständig gearbeitet. Seit 1986 ist sie mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Das der Ehe entstammende, minderjährige Kind ist ebenfalls österreichischer Staatsbürger.
Vom Landesgericht für Strafsachen Wien wird Frau B verurteilt, weil sie im April 1993 versucht hat, eine Andere vorsätzlich zu töten. Das Landesgericht erkennt aber auch, daß sie die Tat in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand versucht hat - sie leidet an paranoider Schizophrenie. Das Landesgericht spricht rechtsrichtig keine Strafe aus, sondern weist Frau B. in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein.
Was macht die Fremdenbehörde mit dem Verlängerungsantrag ihrer Aufenthaltsbewilligung (überflüssig zu sagen, daß die vom Landesgericht rechtskräftig als nicht handlungsfähig erkannte Frau im Verwaltungsverfahren nicht durch einen gesetzlichen Vertreter vertreten war)?
“Es muß daher befürchtet werden, daß Sie auch hinkünftig unter dem Einfluß Ihrer seelischen Abartigkeit strafbare Handlungen mit ähnlichen Folgen setzen werden. Auch die Tatsache, daß Ihr Ehegatte Österreicher ist und Sie ein gemeinsames Kind haben, vermag keine Entscheidung zu Ihren Gunsten herbeizuführen.”
Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet, die Beschwerde werde als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt.
7. Fall (Herr Kemal):
Eine beliebte Schikane für alle AusländerInnen - ob gewollt oder nicht - stellten in den letzten Jahren die häufigen Gesetzesänderungen und damit oft verbundenen Zuständigkeitsänderungen der Behörden dar.
Herr Kemal lebt und arbeitet schon seit 1981 in Wien, immer bei der selben Firma, mit einem mittlerweile ansehnlichen Monatsnettoverdienst. Auch er hätte längst um Staatsbürgerschaft ansuchen können, aber die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligungen verlief mehr als zehn Jahre lang relativ problemlos. Als er wie gewohnt bei der Fremdenpolizei verlängern lassen wollte, eröffnete ihm diese, es sei nun die MA 62 zuständig; außerdem sei die Frist zur Antragstellung abgelaufen, die sei nämlich neu und betrage 4 Wochen vor Ablauf des letzten Visums.
Das Gesetz behandelte lange Zeit jene Antragsteller, die bloß vergessen hatten oder sonst daran gehindert waren, rechtzeitig einen Verlängerungsantrag zu stellen, wie Erstantragsteller und mutete ihnen zu, ihren Antrag “vom Ausland aus” zu stellen.
Wir versuchten es 1995 nochmals mit einem Inlandsantrag und verwiesen auf eine inzwischen ergangene, interne Vorschrift. Die MA 62 wies auch diesen Antrag zurück, Begründung:
“Da er erst am 10.7.1995 einen Antrag auf Verlängerung der Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz eingebracht hat, stellt der Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet eine gravierende Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar, zumal ein erhöhtes öffentliches Interesse an einer geordneten Zuwanderung und einem rechtmäßigen Aufenthalt von Fremden in Österreich besteht. Demgegenüber sind die privaten und familiären Interessen des Antragstellers hintanzustellen.”
Zur Verdeutlichung: Herr Kemal lebt und arbeitet zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre lang ununterbrochen in Österreich, bei der selben Firma, verdient ausreichend, hat drei minderjährige Kinder, die sämtlich in Wien geboren sind und hier zur Schule gehen und ihr sogenanntes Heimatland nie gesehen haben. Dann unterläuft ihm, ausgelöst durch die Zuständigkeitsänderungen der Behörde, ein vergleichsweise harmloser Fehler mit den vom Gesetz vorgesehenen, fatalen Folgen: Er verliert seine Existenzgrundlage.
Mit unserer Berufung gegen diesen haarsträubend begründeten Bescheid drohten wir erstmals Amtshaftungsansprüche gegen die Republik an, für den Fall, daß uns der Verwaltungsgerichtshof wie so oft nach jahrelangem Verfahren doch Recht geben sollte. Schließlich besagt doch eine mittlerweile erlassene Übergangsverordnung, daß bereits längere Zeit integrierte AusländerInnen “ausnahmsweise” einen Rechtsanspruch auf Antragstellung im In-land haben: Ein hochnervöser Gesetzgeber hatte zum Teil mittlerweile eingesehen, zu welch rechtswidrigen Zuständen seine Gesetze führen und versuchte nun, mit allerhand Notmaßnahmen mühsam das Gesetz zu flicken. Inzwischen waren freilich, Macht des Faktischen, bereits Tausende durchgerutscht und Österreich wieder um ein Stück reinweißer!
In einem ähnlichen Fall wurde zB durch einen Fehler der Behörde ein Reisepaß mit der Aufenthaltsbewilligung, gültig vom 1.7.1993 bis 1.1.1994, erst am 20.12.1993 (!) ausgefolgt, also ganze 10 Tage vor Ablauf der Gültigkeit. Die Einhaltung der vier-Wochen-Frist für einen Verlängerungsantrag war daher gar nicht möglich. Dennoch verweigerte die Behörde erster Instanz die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung mit der Begründung: Fristversäumnis. Das FrB verhängte folgerichtig zusätzlich eine Strafe wegen unerlaubten Aufenthalts und verfügte die Ausweisung des jungen Jugoslawen, dessen Eltern seit 20 Jahren rechtmäßig in Österreich leben und arbeiten.
Mit Herrn Kemal aber hat der Innenminister ein Einsehen:
“Aufgrund der nunmehrigen Rechtslage und angesichts Ihrer intensiven Integration im Bundesgebiet hat sich ergeben, daß Ihnen eine Bewilligung erteilt werden kann.”
Mittlerweile war aber Herr Kemal durch einen nicht von ihm verschuldeten Arbeitsunfall arbeitsunfähig geworden, die Fremdenbehörde drängte folglich den längst Integrierten auf geeignete Einkommensnachweise. Die geringe Unfallrente und das Arbeitslosengeld reichen nicht, die fünfköpfige Familie zu ernähren, Herr Kemal muß einen Kredit aufnehmen. Er klagt zwar seine Schäden vor dem Zivilgericht ein, das aber ohne Rechtsschutzversicherung, wie sie immerhin 40% aller ÖsterreicherInnen besitzen, weil er sich aufgrund seiner niedrigeren Entlohnung so etwas nicht leisten kann.
Ein Inländer könnte vielleicht jahrelang auf den Ausgang des Verfahrens warten, doch Herrn Kemal wird die Fremdenbehörde, die derzeit noch geduldig ist, demnächst zurück in die Türkei schicken, sollte er nicht bald zivilrechtlich Erfolg haben.
8. Fall (Herr Y.):
Türkische Staatsangehörige haben seit dem EU-Beitritt Österreichs eine Sonderstellung inne. Durch den Staatsvertrag zwischen der damaligen EWG und der Türkischen Republik aus dem Jahr 1963 genießen türkische Dienstnehmer in sämtlichen Mitgliedsstaaten der EU seither eine Befreiung von den jeweiligen aufenthaltsrechtlichen Regelungen, solange sie in den Arbeitsmarkt integriert sind.
Das hört sich an wie eine Erleichterung, entwickelte sich allerdings, als die österreichischen Behörden davon nach dem EU-Beitritt langsam Kenntnis erlangten, zunächst einmal zu einer chaotischen Erschwerung für alle türkischen StaatsbürgerInnen:
Herr Y. stellt am 21.7.1995 seinen Verlängerungsantrag auf Aufenthaltsbewilligung bei der MA 62. Dieser wird abgewiesen, seiner Berufung dagegen gibt der Bundesminister für Inneres im September 1996 jedoch Folge, mit der Begründung:
“Da Sie als türkischer Staatsangehöriger seit mehr als drei Jahren ordnungsgemäß unselbständig erwerbstätig sind, findet das Aufenthaltsgesetz auf Ihren Antrag keine Anwendung.”
Der Antrag wird von der Berufungsbehörde direkt an die zuständige Behörde, das Fremdenpolizeiliche Büro weitergeleitet. Dieses teilt am 5.12.1996 mit, damit ein “deklarativer” Sichtvermerk ausgestellt werden kann, benötigt unser Mandant nunmehr einen Feststellungsbescheid des Arbeitsmarktservice.
“Deklarativ” ist der Sichtvermerk insoferne, als er im Reisepaß des Herrn Y. nur bestätigen soll, daß Herr Y. keinen Sichtvermerk braucht - was der zur jederzeitigen Überprüfung eines Fremden berechtigte Sicherheitswachebeamte auf der Straße ja nicht wissen kann - und auch insofern, als er damit sein Aufenthaltsrecht nicht nachweisen kann ("konstitutiv" ist er nicht: Herr Y. könnte ohne weiteres in Schubhaft genommen werden, gültiger SV hin oder her, falls er nämlich seine Arbeit verliert und damit ja die Berechtigung für seinen Aufenthalt in der EU weggefallen wäre ...). MaW, zum Nachweis für die Sichtvermerksfreiheit, die Herr Y. genießt, hat sich die österreichische Verwaltung ein kompliziertes System einfallen lassen, das Herrn Y. eine Sichtvermerkspflicht auferlegt; da aber das Fremdenpolizeiliche Büro selbst nicht beurteilen kann oder will, ob die Voraussetzungen vorliegen, schickt es Herrn Y. zum Arbeitsmarktservice.
Auf unseren dort gestellten Antrag für die gesamte Familie wird am 17.1.1997 mit der wortlosen Übersendung eines leeren Antragsformulars reagiert. Daneben fordert das AMS sämtliche Urkunden im Original und vor allem den Nachweis einer lückenlosen Kette von Aufenthaltsbewilligungen sowie sämtliche Meldezettel aller Familienmitglieder seit ihrer Einreise nach Österreich.
Nach einigen Debatten kann sodann am 24.2.1997 der begehrte Feststellungsbescheid zumindest für den familienerhaltenden Vater erlangt werden; bis nun auch das Fremdenpolizeiliche Büro Herrn Y. seinen deklarativen Sichtvermerk ausstellt, ist der 21.11.1997 ins Land gezogen.
Herr Y., dem persönlich weder eine Straftat noch ein Fristversäumnis noch mangelnde Integration vorgeworfen werden können, ist jetzt um mehr als 2 Jahre Anwartschaft für die österreichische Staatsbürgerschaft und um beträchtliches Anwaltshonorar ärmer, weil die Behörden seinen Aufenthalt allenfalls als Gnade denn als Recht empfinden.
9. Fall (Herr C.):
Nicht so glatt verlief die Erteilung bei Herrn C. und seiner Familie, der seit 1988 rechtmäßig und ununterbrochen in Österreich lebt und arbeitet. Denn Herr C. war dazwischen mehrmals, wenn auch nur kurzfristig und immer unverschuldet, arbeitslos.
Das Assoziationsabkommen zwischen der EU und der Türkei nimmt auf die Möglichkeit von Arbeitslosigkeit sogar Bezug und läßt kurzfristige unverschuldete Unterbrechungen zu.
Nicht so die österreichischen Behörden: Sie interpretieren, angeblich aufgrund einer Weisung aus dem Sozialministerium, das europarechtliche Erfordernis einer "Integration in den Arbeitsmarkt während vier Jahren" als “ununterbrochene Beschäftigung in den letzten vier Jahren”.
Unser Antrag wird also abgewiesen, unserer Berufung dagegen keine Folge gegeben. Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet dann aber - vorhersehbar - der angefochtene Bescheid werde aufgehoben: Der Verwaltungsgerichtshof interpretiert den europarechtlichen Assoziationsratsbeschluß dahingehend, daß der türkische Staatsangehörige C. zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt im Anschluß an vier Jahre ordnungsgemäßer Beschäftigung angehört haben muß. Eine kurzfristige un-verschuldete Unterbrechung von 2 ½ Monaten schade ihm nicht.
Zitat des Verwaltungsgerichtshofes: “Damit bleibt in nicht nachvollziehbarer Weise offen, welche Überlegungen die belangte Behörde dazu gebracht haben, den Zeitpunkt der Antragseinbringung als Ausgangspunkt für die Zurückrechnung der Bedingung der vier Jahre ordnungsgemäßer Beschäftigung ... heranzuziehen.”
Zuletzt die These vom Staatsbürger:
Vor dem Gesetz waren alle Bürger gleich,
aber nicht alle waren eben Bürger
(Robert Musil, MoE, 33 f)
“Zwielichtig und zweischneidig” (A. J. Noll) waren die Menschenrechte von Anfang an: Immer wurden sie vollmundiger präsentiert als gewährt, immer gab es gewichtige Ausnahmen.
Vollen Rechtsgenuß gewährt die Rechtsordnung nur denen, die integriert sind. Mag dies das Wahlrecht betreffen, die Wohnversorgung im - von AusländerInnen mitfinanzierten! - Gemeindebau oder das Recht auf einen Turnusplatz, wie im Beispiel.
Einen Anspruch auf diese rechtliche Integration erwirbt man in Österreich relativ spät, nämlich nach 10 Jahren ununterbrochenen (lückenlose Meldezettel!) und legalen Aufenthalts. Selbst dann noch sind neuerdings Sprachkenntnisse nachzuweisen.
Österreich lehnt sich bequem zurück und läßt sich Zeit mit der Integration. Österreich will keine Fremden zu Österreichern machen, sondern ihnen das höchstens gnadenhalber gewähren, falls sie hartnäckig genug sind. Und Österreich verlangt bedingungslose Hingabe, denn die Heimatnationalität ist zuvor nachweislich abzulegen!
Österreich integriert darüberhinaus nicht aktiv, was dazu führt, daß zu oft auch noch die zweite Generation mit dem Ausländerstigma behaftet ist. Die französische Le Monde Diplomatique führte das zuletzt auf die österreichische Gastarbeitermentalität zurück, die uns aus dem Arbeitskräftemangel vergangener Jahrzehnte geblieben sei: Wozu denn Arbeitskräfte integrieren?
Keine Gastfreundschaft, kein Bedarf, koloniale Mentalität. Wir haben kein rechtliches Instrumentarium für Immigration, sondern nur eines für deren Verhinderung.
Wird das unserer zunehmend vernetzten Gesellschaft in, sagen wir: 2 Jahrzehnten noch gerecht werden? Greift Interkulturalität nicht zunehmend ohne unser Zutun Platz? Übersteigt es nicht zunehmend unsere Souveränität - anders als im Nationalstaat alter Prägung - ob wir mit dem Fremden zu tun haben?
Irgendwann in den nächsten zwei Jahrzehnten wird Immigration von Ö. erwünscht sein (beim Rückgang der Reproduktionsrate geht es freilich nicht nur um die Frage, wer einmal unsere Pensionen zahlt. Bevölkerungswissenschafter warnen auch vor Verteilungskämpfen, die dereinst zwischen den ungleich starken Generationen ausbrechen (Rainer Münz in: Wr. Ztg., 27.1.99), zumal politische Macht bei den Alten, finanzielle Lasten aber bei den Jungen zuhause sein würden. Eine niedrige Geburtenrate von heute bringe eine sich abwärts drehende Spirale in Gang, die morgen wenig Eltern und übermorgen noch weniger Kinder bedeute usw. Zuwanderung könne hier ohnehin nur bremsen, den Prozeß aber nicht stoppen. Eine Mehrheit der Wahlberechtigten werde demnächst über 50 sein - und in erster Linie an ihre eigene Versorgung denken.) Sie wird aber nicht mehr "Immigration" heißen, weil sie nicht lediglich aus dem eingeengten Blickwinkel eines reichen Gastlandes gesehen werden wird, das arme Einwanderer aufnimmt. Sondern unter einem viel umfassenderen Blick des Kontakts einer regionalen Bevölkerung mit Personen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen hier niederlassen wollen.
Dann wäre eine Gesellschaft gefragt, die nicht habgierig ausgrenzt, und die nicht bloß das Eigene und Innerste zum alleinigen Maßstab nimmt. Die das Fremde als solches akzeptiert und in all seinen Facetten sieht, nicht nur in seiner Bedrohlichkeit. Die nicht diktiert, sondern verhandelt.
Dann könnte es freilich zu spät sein, all diese für eine entwickelte Industriegesellschaft des 21. Jahrhunderts notwendigen Attribute erst langsam kennenzulernen.
Quelle: Institut für Wissenschaft und Kunst (IWK), Wien (13.04.1999)