Wer Jahre nach Ablauf seiner Polizze noch Rechtsschutz möchte, muss schnell handeln. Laut einer aktuellen OGH-Entscheidung ist das aber nicht immer ganz so eng zu sehen, wie bisher angenommen.

Wien. Wer sich auf einen Rechtsstreit einlässt, trägt ein beträchtliches Kostenrisiko. Eine Rechtsschutzversicherung kann da hilfreich sein – aber nur, wenn sie dann wirklich die Deckung übernimmt. Die Entscheidung, einen Anspruch überhaupt gerichtlich geltend zu machen, hängt oft genug auch davon ab.

Und manchmal wird das ebenfalls strittig. Ein derartiger Fall endete kürzlich vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) – mit einem Ergebnis, das Versicherungskunden freuen dürfte: Selbst Jahre nach dem Ablauf eines Versicherungsvertrags kann demnach noch Anspruch auf Deckung bestehen – und das unter weniger restriktiven Voraussetzungen, als aufgrund bisheriger Judikatur angenommen (7 Ob 167/22t). Die entsprechende Rechtsansicht des Handelsgerichts Wien hat das Höchstgericht bestätigt und die Revision des Versicherers zurückgewiesen.

Dieselskandal als Auslöser
Was war geschehen? Eine Frau hatte Ende 2012 einen Neuwagen der Marke VW gekauft. In diesem war der vom Abgasskandal betroffene Motor EA 189 verbaut – was sie lange Zeit nicht wusste. Dass der VW-Konzern oder der Generalimporteur sie jemals darüber – bzw. über den Zweck des irgendwann durchgeführten Software-Updates – informiert hätte, sei nicht feststellbar gewesen, heißt es sinngemäß im zweitinstanzlichen Urteil. Sie hatte zwar aus den Medien von dem Skandal gewusst, war der Sache aber hinsichtlich ihres Autos nicht nachgegangen. Erst Jahre später, am 5. Juni 2020, erhielt sie – durch Überprüfung der Fahrgestellnummer, wie es hieß – Klarheit darüber, dass auch ihr Auto betroffen war und dass deshalb rechtliche Schritte möglich seien.

Ihren Rechtsschutzversicherungsvertrag hatte sie schon Jahre zuvor – zum 1. Dezember 2015 – gekündigt. Beim Ankauf des Fahrzeugs war sie allerdings rechtsschutzversichert gewesen. Am 7. Juli ersuchte sie daher ihren früheren Versicherer um Deckungsübernahme für die Geltendmachung des Schadens aus dem Autokauf. Der Versicherer lehnte das aus mehreren Gründen ab – unter anderem, weil sie die Schadenmeldung nicht „unverzüglich“ erstattet und damit „grob schuldhaft“ sowohl gegen die Versicherungsbedingungen als auch gegen § 33 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) verstoßen habe.

Nur ein paar Tage Zeit
Und diese Argumentation des Versicherers war nicht aus der Luft gegriffen – denn immerhin war zwischen der Kenntnis des Schadens und der Meldung an die Versicherung über ein Monat vergangen. Wenn aber der Vertrag bereits abgelaufen ist – und ihn der Versicherer daher bei seiner Risikovorsorge nicht mehr auf dem Radar hat –, wird die Obliegenheit, Schäden unverzüglich zu melden, durch die Judikatur streng ausgelegt.

Beim OGH abgeblitzt ist in der Vergangenheit etwa ein VW-Käufer, der im Jahr 2016 an der Sammelaktion des VKI teilgenommen und erst 2017 seinen Anwalt über seine (bereits 2011 gekündigte) Rechtsschutzversicherung informiert hatte. Der Versicherer sei wegen dieser Verzögerung leistungsfrei, entschied damals das Höchstgericht (7 Ob 206/19y). Und in einer weiteren Entscheidung, die heuer erging, bekräftigte der OGH, dass eine Schadensmeldung „innerhalb weniger Tage“ noch rechtzeitig wäre – nach zwei Wochen jedoch nicht mehr, und schon gar nicht nach einem Monat (7 Ob 2/21a).

Verzögerung grob fahrlässig?
Im konkreten Fall kam das Handelsgericht Wien dennoch zu einem anderen Ergebnis, an dem das Höchstgericht nichts auszusetzen fand: Es kommt nämlich auch auf den Grad des Verschuldens an der Obliegenheitsverletzung an. An diesem Punkt kommt § 6 Abs. 3 VersVG ins Spiel: „Ist die Leistungsfreiheit für den Fall vereinbart, dass eine Obliegenheit verletzt wird, die nach dem Eintritt des Versicherungsfalles dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist, so tritt die vereinbarte Rechtsfolge nicht ein, wenn die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht“, heißt es da.

Und im konkreten Fall kam das Gericht zum Schluss, es habe bloß leichte Fahrlässigkeit vorgelegen. „Für die Erstellung der Deckungsanfrage mussten noch Dokumente zusammengetragen werden, die durch die Klagevertretung gesichtet und überprüft werden mussten. Und das hat etwas über einen Monat gedauert“, erläutert Rechtsanwältin Isabella Jorthan, Partnerin in der Kanzlei Wallner Jorthan, die in dem Fall die Klägerin vertreten hat, im Gespräch mit der „Presse“.

Grobe Fahrlässigkeit sei im Bereich des Versicherungsvertragsrechts gegeben, „wenn einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen, wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit dem gegenüber vorliegt, was offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen“, so Jorthan. Liegt jedoch nur leichte Fahrlässigkeit vor, bleibt das ohne Sanktion.

„Die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung trifft dabei immer den Versicherer“, erklärt die Anwältin. Im konkreten Fall gelang ihm das auch – ein Anspruch auf Versicherungsschutz besteht dennoch.

Ein Freibrief, sich nach Vertragsablauf mit der Meldung eines vorher eingetretenen Schadens Zeit zu lassen, ist das freilich nicht. Es bleibt dabei: Man muss in solchen Fällen den Versicherer grundsätzlich innerhalb weniger Tage informieren. Die aktuelle Entscheidung entschärft das lediglich insoweit, als im konkreten Fall eine bloß durch das Zusammentragen und Prüfen der nötigen Dokumente entstandene Verzögerung eben nicht als grob fahrlässig gewertet wurde.

Ist Ausschlussfrist wirksam?
Losgelöst vom aktuellen Fall ist bei all dem zu beachten, dass viele Rechtsschutzversicherungs-Verträge Ausschlussfristen enthalten, wonach z. B. ab einem oder zwei Jahren nach Vertragsablauf ganz generell keine Deckungsübernahme mehr möglich ist. Das ist an sich gängig und dient der Risikobegrenzung für den Versicherer. Aber: Auch solche Klauseln dürfen nicht so abgefasst sein, dass ausschließlich auf einen bestimmten Zeitpunkt abgestellt wird, sodass der Versicherungsnehmer auch bei unverzüglicher Meldung – und obwohl er vor Fristablauf keine wie immer gearteten Hinweise darauf hatte, dass während der Vertragslaufzeit ein Versicherungsfall eingetreten sein könnte – seine Ansprüche verliert.

Auch dazu gibt es Judikatur, laut OGH wäre eine solche Vertragsbestimmung als „objektiv und subjektiv ungewöhnlich“ zu beurteilen und insoweit nichtig (7Ob201/12b). Und zwar, wie Jorthan betont, unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer Verbraucher oder Unternehmer ist.
Die Presse, Print-Ausgabe, 15.12.2022