Coronakrise. Viele Menschen fallen durch den shutdown um ihre Einnahmen um. Kann man aber mit den Kreditrückzahlungen aussetzen, wenn sie nicht mehr leistbar sind? Ohne Weiteres nicht, da ist Verhandeln angesagt.

VON CHRISTINE KARY

Wien. Die Coronakrise trifft auch zahlreiche Kreditnehmer, die jetzt mit Einkommenseinbußen konfrontiert sind. „Die Einnahmen sind weg, die Belastungen gehen weiter“, schildert Rechtsanwalt Immanuel Gerstner, Partner bei SCWP Schindhelm, die beunruhigende Realität, mit der viele zurzeit zurechtkommen müssen. Was soll man also tun, speziell wenn es um eine private Finanzierung geht? Hoffen und warten, ob der Gesetzgeber Moratorien schafft – oder andere Erleichterungen, wie es sie in gewissem Ausmaß schon für Unternehmer gibt?

Dass so etwas noch kommt, sei denkbar, sagt Gerstner, trotzdem sei Warten keine Option. Vielmehr sollte man, wenn man sich die Rückzahlungen nicht mehr leisten kann, sofort Kontakt mit seiner Bank aufnehmen und sich um eine Lösung bemühen. Bereits Fälliges gelte es dabei nach Möglichkeit noch zu bereinigen, empfiehlt der Jurist. Denn aufgrund der regulatorischen Vorgaben würde bei einer Stundung fälliger Raten der Kredit notleidend, warnt er, damit wären dann bei der Bank Wertberichtigungsbedarf und eine höhere Eigenkapitalunterlegungspflicht verbunden – jedenfalls, solang es keine spezielle Corona-Sonderregelung gibt. Insgesamt stünden aber die Chancen gut, sich mit der Bank auf eine Lösung zu einigen, beruhigt Gerstner. Das liege nämlich auch im Interesse des Kreditgebers.

„Vertrag anpassen“

Rechtsanwalt Benedikt Wallner geht da noch einen Schritt weiter: Ein Kreditkunde, der nur aufgrund der Coronakrise die vereinbarten Raten nicht mehr zahlen kann, habe sogar einen Anspruch auf Vertragsanpassung, sagt er zur „Presse“. Diese Krise sei einer der seltenen Fälle, in denen die Lehre vom „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ (mehr dazu auf Seite 16) zum Tragen komme. Demnach soll die Auflösung oder Anpassung eines Vertrages möglich sein, wenn bestimmte Umstände wegfallen, von denen die Parteien übereinstimmend ausgehen. Und die sie nur deshalb nicht ausdrücklich zur Vertragsbedingung gemacht haben, weil sie gar nicht daran gedacht haben, dass dies notwendig werden könnte. Nun gibt es in vielen Gesetzen ohnehin Regelungen für solche Fälle. Der „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ dürfe daher nur als letztes Mittel herangezogen werden, erklärt Wallner.

Wobei „Wegfall“ es hier nicht ganz trifft, „Störung der Geschäftsgrundlage“ passt besser. Denn die Coronakrise wird ja irgendwann wieder zu Ende gehen. In Deutschland ist die Rechtslage klarer, dort gibt es eine eigene gesetzliche Regelung für solche unvorhersehbaren Fälle. Demnach kann man bei einer Störung der Geschäftsgrundlage Vertragsanpassung verlangen, soweit einem Vertragspartner im konkreten Fall „das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann“. Es gibt im Nachbarland auch schon eine Höchstgerichtsjudikatur, die einen Anspruch auf Vertragsanpassung bejaht.

Aber was heißt das für Österreich? Wallner sieht „keinen dogmatischen Grund, diese deutschen Wertungen nicht auch auf die österreichische Rechtslage umzulegen“. Denn das Rechtsinstitut an sich sei auch hier anerkannt, „und viele Verträge des Wirtschaftslebens enthalten Neuverhandlungs oder Anpassungsklauseln“. Aus seiner Sicht kann man daher, wenn man aufgrund des Shutdown um seine Einkünfte umfällt, von der Bank eine Neuverhandlung des Kreditvertrags nicht nur erbitten, sondern verlangen. Und habe einen Anspruch auf Schadenersatz, sollte die Bank das verweigern.

Interessenabwägung

Aber muss eine Vertragsanpassung immer zugunsten des Schuldners ausgehen? Laut Wallner läuft es auf eine Interessenabwägung hinaus. „Hierbei ist zu bedenken, dass die Geschäftsbanken zur Aufrechterhaltung der Zahlungsströme von den Notenbanken – und diese wiederum von der EZB – mit Liquidität geflutet werden.“ Es koste die Banken wenig, wenn sie z. B. für den Zeitraum einer behördlichen Betriebsschließung Zinszahlungen aussetzen, während die Kreditrückzahlung den Kreditkunden wegen des ausbleibenden Geschäftsgangs momentan viel härter träfe. Dies lasse sich genauso auf private Kreditnehmer umlegen, soweit ihr verfügbares Haushaltseinkommen sich wegen der Covid- 19-Krise vorübergehend verringert hat. Banken sei daher anzuraten, im eigenen Interesse die Rückzahlung offener Kredite auszusetzen, solang die öffentlichrechtlich verordneten Maßnahmen anhalten, sagt Wallner. „Gerichtliche Einbringungsmaßnahmen sind derzeit ohnehin nicht möglich, und danach werden die Gerichte wohl jenen Kreditkunden, die sich auf Covid-19 berufen, recht geben“, ist er überzeugt. Die Neuverhandlungspflicht mit dem Ziel einfordern (bzw. durch einen Anwalt einfordern lassen), während des Shutdown nichts zahlen zu müssen, kann man laut Wallner auch dann, wenn die nächste Rate schon fällig ist. Dies sei dann „kein Notleiden, sondern nur ein Moratorium“. War jemand schon vorher in Zahlungsproblemen, lasse sich das jedoch nicht anwenden, relativiert er. Auch werde es „ein vorsichtiger Kreditkunde nicht erst auf eine Fälligstellung ankommen lassen, sondern sucht frühzeitig das Gespräch“. Stichwort Fälligstellung: Diese setzt bei Verbraucherkrediten eine qualifizierte Mahnung voraus. Man muss mit zumindest einer Rate seit mindestens sechs Wochen im Rückstand sein, und die Bank muss die sofortige Fälligstellung („Terminsverlust“) angedroht und eine Nachfrist von mindestens zwei Wochen gesetzt haben. Wer erst dann zu verhandeln beginnt, ist freilich reichlich spät dran.

Quelle: DIE PRESSE 30.3.2020