Unsere Klientin P***** hat 2021 ihren Hauskredit, der noch bis 2036 gelaufen wäre, vorzeitig zurückzahlen können. Der Kredit sah auch eine Bearbeitungsgebühr iHv 2,5% vor, die gleich zu Anfang von der Bank abgezogen und einbehalten wurde (EUR 13.500). Weil nun aber der Kredit keine vollen 20 Jahre gelaufen ist, sondern nur 5 (also nur ¼ der vertraglichen Laufzeit), fordern wir ¾ dieser (und aller anderen) Gebühren von der Bank zurück. Denn ganz gleich, was im Kreditvertrag stehen mag, gibt Art. 16 Abs. 1 der Europäischen Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48 Konsumenten das Recht, den Kredit vorzeitig zurückzuzahlen und eine anteilige Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits zu erhalten (vgl. Urteil des EuGH 11.9.2019, C-383/18 [Lexitor] Rz 22).

Unter Gesamtkosten verstehen wir ganz einfach das, was auch Art. 3 lit g der Richtlinie 2008/48 darunter versteht:

g)      Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“:sämtliche Kosten, einschließlich der Zinsen, Provisionen, Steuern (!) und Kosten jeder Art – ausgenommen Notargebühren –, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind; Kosten für Nebenleistungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, insbesondere Versicherungsprämien, sind ebenfalls enthalten, wenn der Abschluss des Vertrags über diese Nebenleistung eine zusätzliche zwingende Voraussetzung dafür ist, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird;

Doch halt: Gilt denn eine Verbraucherkreditrichtlinie, wie der Name schon sagt, nicht nur für Verbraucherkredite?Allerdings, Partei des Kreditvertrags muss also eine Verbraucherin gewesen sein; das sind einmal sämtliche Konsumenten, aber zB auch ein (hauptberuflicher) Unternehmer, der sich für private (Wohn-)Zwecke ein Haus baut und dafür einen Kredit aufnimmt.

Aber fallen denn Hypothekarkredite unter die Verbraucherkredite? In Österreich werden tatsächlich Hypothekarkredite extra geregelt, und zwar durch das Hypothekar-Immobilienkreditgesetz. Das HIKrG gilt speziell für solche Verbraucherkreditverträge, die durch ein Pfandrecht oder ein sonstiges Recht an einer unbeweglichen Sache besichert werden oder die für den Erwerb oder die Erhaltung von Eigentumsrechten an einer unbeweglichen Sache bestimmt sind (also die typischen Kredite bei einem Haus- oder Wohnungskauf). Es setzt die Europäische Wohnimmobilienkredit-Richtlinie (2014/17/EU; WIKrRL) um. Darin findet man Sätze wie 

(3) Die Finanzkrise hat gezeigt, dass unverantwortliches Handeln von Marktteilnehmern die Grundlagen des Finanzsystems untergraben und zu mangelndem Vertrauen bei sämtlichen Beteiligten, insbesondere den Verbrauchern, sowie potenziell schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen führen kann. Viele Verbraucher haben das Vertrauen in den Finanzsektor verloren, und Kreditnehmer haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Kredite zu bedienen, was zu einem Anstieg von Zahlungsausfällen und Zwangsvollstreckungen führt.  

Oder

(4) Auf den Hypothekenmärkten in der Union wurde im Zusammenhang mit der unverantwortlichen Kreditvergabe und -aufnahme und dem potenziellen Umfang unverantwortlichen Handelns durch Marktteilnehmer, einschließlich Kreditvermittler und Nichtkreditinstitute, eine Reihe von Problemen ermittelt. Die Probleme betrafen unter anderem Fremdwährungskredite, die Verbraucher in der betreffenden Währung aufgenommen hatten, um in den Genuss des angebotenen Zinssatzes zu kommen, ohne sich jedoch über das damit verbundene Wechselkursrisiko angemessen informiert zu haben oder sich des Risikos ausreichend bewusst gewesen zu sein.

Und Artikel 25 Abs 1 dieser WIKrRL besagt, dass der Verbraucher bei vorzeitiger Rückzahlung das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredites habe, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrages richten. Also wortident wie Artikel 16 Abs 1 VKrRL. Heißt das nicht, es gilt für beide Kreditarten dasselbe?

Ja, meinen wir, mit der einen Einschränkung, dass Art 4 Z 13 WIKrRL zwar den Begriff Gesamtkosten aus Art 3 lit g VKrRL übernimmt, dann aber weiter einschränkt:

[…] Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher im Sinne von Art 3 lit g der VKrRL   einschließlich der Kosten für die Immobilienbewertung sofern eine solche Bewertung für die Gewährung des Kredits erforderlich ist , jedoch ausschließlich der Gebühren für die Eintragung der Eigentumsübertragung in das Grundbuch.

Nein, meinte die UniCredit Bank Austria, ließ sich vom VKI wegen einer ihrer Klauseln 2020 klagen und bekam vom Handelsgericht Wien in erster Instanz recht (43 Cg 22/20p-15vom 29.10.2020): Das VKrG und das HIKrG könnten nicht durchgehend gleich ausgelegt werden. Auch die beiden Europäischen Richtlinien seien differenziert zu betrachten, insbesondere weisen Immobiliarkredite höhere Einmalkosten auf als andere Kredite. Dieses Erst-Urteil hat aber nicht gehalten: Mit 30 R 5/21g gab das Oberlandesgericht Wien am 4.2.2021 der Berufung des VKI Folge und änderte das Urteil ab: Die Wortfolge ist in der WIKrRL gleich (wie in der VKrRL) und daher auch gleich auszulegen (1.10.3.)! Das Urteil des OLG Wien ist allerdings nicht rechtskräftig. Bis zur Rechtskraft wissen wir daher nicht sicher, ob auch Frau P***** bei ihrem Wohnkredit die Gesamtkosten anteilig zurückzuerstatten sind.

Und weil es sich beim Prozess des VKI wie so oft „nur“ um ein Klauselverfahren gehandelt hat, nicht aber um eine fallbezogene Einzelentscheidung, wissen wir auch nicht, ab wann das EU-Recht anwendbar ist. Denn wegen der eingangs erwähnten Entscheidung des EuGH Lexitor wurden inzwischen zwar sowohl das VKrG als auch das HIKrG vom österreichischen Gesetzgeber entsprechend angepasst, sodass nun sämtliche Gebühren anteilig rückzuerstatten sind, und nicht mehr nur laufzeitabhängige – allerdings soll das neue Gesetz erst bei Verbraucherkreditverträgen zur Anwendungkommen, die nach dem 11.09.2019 geschlossen wurden und nach dem 31.12.2020 vorzeitig zurückgezahlt werden. Also erst ab 2021. Also für die wenigsten, nicht für die meistenVerbraucherkreditverträge. Kann das stimmen?

Wir argumentieren: Nein! Wenn das HIKrG, das der WIKrRLgerecht werden muss, auf Kreditverträge anzuwenden ist, die nach dem 20. März 2016 geschlossen (bzw. gewährt) wurden, dann sind davon sämtliche Kreditverträge ab dem 21. März 2016 betroffen, ganz gleich, ob der österreichische Gesetzgeber die Richtlinie bis zur Novelle richtig verstanden hat oder nicht!

Ob wir recht haben, wird erst der OGH entscheiden. Dafür braucht er die Sache nicht schon wieder dem EuGH zur Auslegung vorzulegen, handelt es sich doch um einen sog. acte-clair (wenn also die richtige Anwendung des Unionsrechts ohnehin derart offenkundig ist, dass von einer Vorlage abgesehen werden kann; Bestehen keines vernünftigen Zweifels“). So hat es jedenfalls das OLG Wien gesehen, und hat seinerseits nicht dem EuGH vorgelegt (30 R 5/21g, 1.11.2.).